Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Nordfriesland aufging, hat man das Heim geschlossen und
das Personal anderweitig untergebracht. Die Akten sind irgendwann in den
Archiven verschwunden. Niemand interessiert sich mehr dafür.«
»Na ja, bei uns – ich meine, bei der Polizei – war das
auch nicht anders«, gab Große Jäger zu. »Warum hat Hohenhausen Selbstmord
begangen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des kleinen
Steppujat und dem Suizid?«
»Nach über vierzig Jahren?«, sagte Christoph zweifelnd.
»Wer ist die geheimnisvolle blonde Frau, die Hohenhausen besucht und
die man angeblich auch auf Nordstrand gesehen hat, bevor Adolph Schierling
ermordet wurde?«
»Wenn die in irgendeiner Verbindung zu Günter Steppujat steht? Eine
Verwandte? Die müsste dann aber Informationen haben, die uns fehlen. Und in
welchem Verhältnis stand Dr. Pferdekamp zu Hohenhausen und Schierling?
Oder haben wir es mit zwei Fällen zu tun? Noch ist der Verdacht gegen die
Gardinger Ärztin nicht entkräftet. Schließlich hat Frau Krempl allen Grund,
ihren Vorgänger zu hassen.«
»Das doch absurd, Heidi zu verdächtigen«, empörte sich Große Jäger.
»Heidi?« Christoph sprach den Namen überbetont aus. »Läuft da was
zwischen euch?«
»Blödsinn. Ich würde nie mit einer Beteiligten an einem ungelösten
Fall Kontakte pflegen.«
»Da bitte ich dich drum«, sagte Christoph und registrierte, wie
Große Jäger bei seinem unmissverständlich bestimmenden Tonfall aufhorchte. Dann
griff er zum Telefon und wählte die Nummer der Kreisverwaltung an. Frau Hatje
zeigte sich wenig begeistert von seiner Bitte.
»Haben Sie eine Vorstellung, mit welchem Aufwand das verbunden
ist?«, fragte sie.
»Das ist sicher nicht einfach«, stimmte ihr Christoph zu. »Für uns
ist es aber von Bedeutung.«
»Das wird aber ein wenig dauern«, trat die Mitarbeiterin der
Kreisverwaltung vorsichtig den Rückzug an.
Inzwischen hatte Große Jäger die Akte an sich genommen und
weitergelesen.
»Zur fraglichen Zeit hieß der Heimleiter Herbert Seltmann.«
»Ob der sich noch an die Vorfälle erinnern kann?«, fragte Christoph.
»Nein.« Der Oberkommissar zeigte auf seinen Bildschirm. »Der ist
2004 in Schleswig verstorben.«
»Wir müssten an eine Übersicht herankommen, wer zur fraglichen Zeit
im St.-Josef-Heim tätig war. Vielleicht gibt es noch Aufzeichnungen, welche
Kinder und Jugendlichen sich damals dort aufgehalten haben.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Große Jäger. Mit vorwurfsvollem Ton
fuhr er fort: »Warum hast du das Kind bloß ziehen lassen? Als Mommsen noch bei
uns war, hat er sich dieser Dinge angenommen. Während wir uns an der Front die
Hacken schief gelaufen haben, hat er hier im Büro gesessen und die Grundlage
für seine Karriere gelegt.«
»Das ist eine sehr freie Interpretation. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt
schon in der Erkenntnis: Wer immer auf den Beinen ist, dem kann nichts in den
Schoß fallen.«
»Du willst aber nicht unterstellen, dass dem Kind alles geschenkt
wurde?«, verteidigte Große Jäger Mommsen, obwohl er einen Satz zuvor das
Gegenteil behauptet hatte.
»Ich nehme dir die Arbeit ab«, sagte Christoph und rief noch einmal
Frau Hatje an. Die stöhnte angesichts der neuen Bitte, nach den Personal- und
Heimkinderlisten aus den sechziger Jahren zu suchen.
Christoph erkundigte sich bei der Kriminaltechnik im LKA , ob es neue Erkenntnisse gebe. Nein. Man konnte ihm
nicht weiterhelfen.
Es vergingen kostbare Stunden, bis sich Frau Hatje meldete.
»Bei der Kreiszusammenlegung 1970 muss es recht turbulent zugegangen
sein«, begann sie zu berichten. »Die Ämter wurden verschmolzen, es gab neue
Zuständigkeiten. Außerdem wurden Dienststellen und Einrichtungen geschlossen.
Das war auch Sinn der Reform. Man wollte Personal abbauen und die nicht weniger
werdenden Aufgaben auf eine kleinere Anzahl von Mitarbeitern verteilen. Solche
Ansätze gab es schon vor vierzig Jahren.«
»Das bedeutet, Sie sind fündig geworden?«
»Ja, sonst hätte ich Sie nicht angerufen. Adolph Schierling war im
Jugendamt des Altkreises Eiderstedt beschäftigt und wurde nach der Reform in
die Behörde nach Husum übernommen.«
»Konnten Sie feststellen, mit welchen Aufgaben Schierling in
Eiderstedt betraut war?«
»Natürlich.« Es klang entrüstet, weil Christoph Zweifel durchklingen
ließ. »Auch wenn es mit viel Mühe verbunden war. Herr Schierling hat eine
Lehrerausbildung absolviert, diesen Beruf aber nie ausgeübt. Nach seiner
Übernahme in
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