Nebelgrab (German Edition)
traktieren. Anscheinend war das Gespräch beendet. Ohne Adrian anzusehen, hielt sie ihm ein Fax hin. Adrian erkannte die Pressemitteilung von Professor Wiedener, ergriff das Papier mit einem Ruck, sodass es einen Riss bekam, und rauschte aus dem Zimmer.
»Mist, verfluchter«, schimpfte er auf dem Weg nach draußen.
Seine Redakteurin, die in Personalunion auch Herausgeberin, Layouterin und Vertrieb des aufstrebenden Niederrheinblattes war, ging ihm mit ihrem überspannten Wesen auf die Nerven. Ständig musste er seine Pläne ändern, er wurde ins Büro bestellt, und nicht selten rauschte er nach wenigen Minuten wütend hinaus. Dass die Wut manches Mal inspirierend war, merkte er immer erst später.
Trotz seines Ärgers und der Zweifel, die ihm die verkannte Operndiva mit ihren schwarz gefärbten Haaren bereitete, empfand er auch Bewunderung. Er bewunderte nicht ihre grell geschminkten Lippen, aber so manches, was aus jenem Mund an klugen Sätzen kam. Er bewunderte nicht ihr offensichtliches Festhalten an der Jugendlichkeit, das Übertünchen der Falten, aber dass sie aus dem Provinzblättchen eine vernünftige Wochenzeitung machen würde, war aus Adrians Sicht nur eine Frage der Zeit. Karla, Frank, Adrian sowie ungezählte Gelegenheitsautoren und Freiberufler waren ein Team voller Entschlossenheit und Optimismus. Adrians Titelstorys hatten schon mehrfach ein großes Echo erzeugt. Demnach war er doch wohl ein guter Schreiber, besser als Frank und all die anderen, und darauf setzte er. Kürzlich hatte er einen Skandal um den Viersener Stadtrat gewittert. Dem wollte er nachgehen, aber stattdessen musste er nun diesen Professor im Ruhestand interviewen, der ein Buch über Süchteln herausgebracht hatte.
Draußen lief Adrian Frank fast über den Haufen. »He, verdammt, pass doch auf!«, beschwerte sich der Kollege.
»Weg da!«, raunzte Adrian ihn an, statt sich zu entschuldigen, und trampelte mit dem Faxpapier wedelnd die Treppe hinunter.
Frank rief ihm belustigt hinterher, er sei doch schließlich in Süchteln aufgewachsen und kenne sich doch besonders gut dort aus – die Story müsse ihm doch reingehen wie ein Zäpfchen!
»Arschloch«, rief Adrian durchs Treppenhaus und ließ die Tür des Bürogebäudes in Willich, in dem Karla ihre Redaktion untergebracht hatte, mit Schwung ins Schloss fallen.
Währenddessen tippte Karla weiter in ihren PC. »Wenn einer eine Chance verdient, dann du, mein Junge, mach was draus«, murmelte sie vor sich hin und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
Konrad Wiedener
Konrad Wiedener stand mit dem Telefonhörer am Ohr in seinem Arbeitszimmer und strich sich mit der freien Hand über sein schütteres Haar. »Danke für deine Hilfe, Martin, ich weiß das wirklich zu schätzen«, sagte er in die Sprechmuschel des altmodischen Apparates.
»Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun kann, Konrad«, erwiderte sein Gesprächspartner, »das Einzige, was hilft, ist Werbung, Werbung und nochmals Werbung.«
»Ich weiß, Martin, und zur Not werde ich das Buch eben selber drucken lassen. Ich sehe ein, dass man selbst als renommierter Professor nicht automatisch einen Verlagsvertrag bekommt; das ist wohl die bittere Wahrheit.«
»Mein Lieber, muss ich dich daran erinnern, dass du seit 20 Jahren emeritiert bist? Dass du auf deine alten Tage noch richtig berühmt werden willst, konnte ja keiner ahnen.« Die Stimme am Telefon hatte einen belustigten Unterton.
»Blödsinn, wer sagt denn was von Berühmtheit? Nun ja, danke nochmals, und ich hoffe, dass die großen Zeitungen sich bald melden. Bis dann, Martin, mach’s gut.«
Der Professor legte auf, verharrte sekundenlang in Gedanken an seine Marketingstrategie, blickte schließlich aus dem Fenster auf die Fassade des schräg gegenüberliegenden Altenheimes und legte dann eine Hand wie beschützend auf das Titelblatt seines Manuskriptes. Der Ruf seiner Haushälterin, das Essen sei fertig, drang wie aus weiter Ferne in seine Grübeleien.
Aus einer Laune heraus hatte er das Buch zu schreiben begonnen. Es war eine Art Erfahrungsbericht, eine Geschichte, die ihn jahrzehntelang beschäftigt, zeitweise sogar belastet hatte, und die er sich zum Ende seines Lebens von der Seele reden musste. Jetzt waren seine Erinnerungen ein Buch geworden. Eine Veröffentlichung war nicht geplant gewesen, aber das Buch war gut geworden, zu gut, als dass es im Nichts verschwinden sollte. Es rüttelte ein wenig an der Stadtgeschichte Süchtelns, erzählte von
Weitere Kostenlose Bücher