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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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dass der Nesfer jene, die sich ihm hingeben, bis in das Meer der Ewigkeit trägt.«
    »Ob sich diese zwei ihm wohl ganz freiwillig hingeben?«, fragte Baniter mit trockener Stimme. Der Siegelmeister nickte. »Ihr habt Recht … es ist eine Schande!« Sein Blick verdüsterte sich. »In früheren Tagen waren es hunderte, die am Har'buthi-Fest ihre Seelen dem Nesfer anvertrauten - aus freiem Willen, ohne jeden Zwang! Damals war Arphat mächtig, und die Priester wussten die alten Traditionen zu schätzen. Doch heute?« Es lag Verachtung in seiner Stimme. »Heute bringen sie dem Nesfer ein paar Sklaven dar! Ich habe lange auf den Tag gewartet, an dem ich einer Har'buthi-Zeremonie beiwohnen darf. Doch dies, Fürst Baniter«, er wies auf den Fluss, »ist eine jämmerliche Parodie des Festes! Har'buthi galt als Tag der Ekstase und des Einswerdens mit den Göttern. Die Menge war von heiligem Ernst erfasst; die Menschen von Praa fanden sich am Ufer des Nesfers zusammen und gaben sich im Bewusstsein der Vollkommenheit Arphats ihren Göttern hin. Die Zeremonie band sie aneinander, öffnete ihnen die Augen für die Erhabenheit ihres Weltreiches; und jene, die erwählt waren, sich dem Nesfer zu opfern, gingen freiwillig in die Fluten.« Er schüttelte den Kopf. »Was ist aus diesem Festtag geworden! Dieses Geheul und Gezeter entbehrt jeder Ekstase, es ist bloßer Wahn! Jene, die dort ihr Blut in den Nesfer vergießen, hat der Fluss nicht zu sich gerufen. Und wo ist die Königin, die Tochter des Sonnengottes? Sie sollte hier am Ufer des Flusses stehen und den Zorn der Götter besänftigen.« Mestor Ulba wandte sich ab. »Lasst uns zum Tempel zurückgehen, mein Fürst. Wir haben genug gesehen.«
    »Noch nicht«, widersprach Baniter. »Für meinen Geschmack ist dieses Fest ekstatisch genug. Vergesst nicht, Siegelmeister, im palidonischen Hochland werden am Tag der Ernte Obstkörbchen in der Luft umhergeschwenkt und ein paar Statuen mit Bronze Übergossen. Verglichen damit ist dieses Fest ein wahres Feuerwerk der Ekstase.«
    Ulba schien ihm nicht zuzuhören. »Versteht Ihr nicht, dass es mich schmerzt, zu sehen, wie tief dieses Reich gesunken ist? Sein Glanz ist Vergangenheit - nie sah ich es deutlicher als zu dieser Stunde. Als Arphats Herrschaft über den Süden endete, brach eine neue Epoche an; und diese Epoche gehört dem Kaiserreich Sithar!«
    Baniter runzelte die Stirn.
Diese Rede wird Inthara gar nicht gern hören.
»Lasst uns hoffen, dass ihr nicht eine Epoche der Echsen folgt«, sagte er. Sein Blick wanderte zum Floß zurück. Die Priester hatten den Käfig ins Wasser herabgelassen. Er sank sofort auf den Grund, die Eisenkette hinter sich herziehend. Die Schreie der Sklaven erstickten im Wasser und wurden vom frenetischen Jubel der Menge abgelöst.
    Langsam schritt Baniter an die Seite von Lyndolin Sintiguren. Auch sie starrte auf den Fluss. Ihr runzeliges Gesicht verriet keine Gefühlsregung.
Ob sie mit ihren schwachen Augen überhaupt sieht, was dort vor sich geht?
Vorsichtig beugte er sich zu ihr herüber. »Haltet Euch bereit, Lyndolin«, flüsterte er. »Der Opferritus nähert sich dem Ende.«
    Die Dichterin nickte. Sie hielt die in ein Tuch gewickelte Harfe wie ein Kind in ihren Armen.
Ich hoffe, sie weiß die Worte, die wir ersonnen haben, gut vorzutragen.
    Baniters Augen sprangen zwischen Floß und Ufer hin und her.
Wo hält sich die Königin wohl verborgen ? Sie muss irgendwo sein … sonst ist mein Plan zum Scheitern verurteilt!
    Er entdeckte schließlich am Ufer, kaum zehn Schritt entfernt, einige vermummte Gestalten, die sich unter das Volk gemischt hatten. Sie trugen graue Gewänder, auf denen das Zeichen einer Vogelschwinge prangte und deren herabhängende Ärmel mit grauen Federn besetzt waren. Die Gesichter waren mit weißen Masken verhüllt, die dem Kopf eines Raubvogels nachempfunden waren. Auch sie wurden von einem Trupp Anub-Ejan-Mönchen bewacht.
    Baniter winkte Mestor Ulba zu sich. »Welcher Priesterschaft gehören diese Maskierten an?«, fragte er und wies verstohlen auf die geheimnisvollen Gestalten.
    »Es sind die Geweihten der Todesgöttin Alunai«, gab der Siegelmeister zurück. »Kubeth ist nicht der einzige Gott des Totenreiches. Er nimmt sich jener Seelen an, die im Frieden dahingegangen sind. Alunai hingegen ist die Herrin der Rastlosen, der Ermordeten, Gefolterten und Kranken, die vor ihrer Zeit ins Totenreich gerufen wurden. Sie verhilft ihnen zu ihrer letzten Rache, und zugleich sorgt sie

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