Nebelriss
Balicor zu. In ihren Augen brannte die Glut, während sie den Erzprior zurückdrängten.
Sprachlos starrte Balicor auf den Greis, dessen Kichern lauter und lauter wurde. »Stirb endlich«, spie er hasserfüllt hervor, »erweise Tathril den letzten Dienst und STIRB!« Doch er wich vor den belebten Statuen zurück, die auf ihn zukamen. Rauch brandete auf, und er verlor Magro Farghs Sterbelager aus den Augen. Nur sein Gelächter konnte er hören; hörte es noch, als er die Treppen emporhastete. Und er wusste, dass Magro Fargh weiterlachen würde bis zum letzten Atemzug.
Haus Durdun hatte ihr vom ersten Augenblick an gefallen, ein kleines, gemütliches Gut nördlich von Thax. Es war still hier draußen auf dem Land, nur einige Hirten und Bauern lebten in diesem Teil des Hochlandes. An diesem Nachmittag legte Ceyla den warmen Pelzmantel an, den der Kaiser ihr geschenkt hatte, und spazierte über den abschüssigen Hof; vorbei an den mit Laken abgedeckten Kutschen, vorbei an den Ställen, an der Hütte, in der die Dienerschaft lebte. In der Ferne erstreckten sich die Hügel des Hochlandes, bedeckt von einer Schicht schimmernden Schnees. Bald erreichte Ceyla den Waldrand; ein Forst aus dicht zusammenstehenden Fichten, auch sie weiß bereift. Wann immer Ceyla einen der herabhängenden Zweige streifte, stob der Schnee auf sie herab wie feiner Staub. Sie liebte es, wenn er auf ihren Wangen zerschmolz.
Sie musste an Akendor denken. Er kam meistens am Abend nach Durdun, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, begleitet von seinem Leibwächter und einer Hand voll Reiter. Meist zog er Ceyla bereits im Treppengang voller Gier an sich, riss ihr vor den Augen seiner Begleiter das Kleid herunter; seine Hände waren eisig nach dem Ritt durch die Kälte. Er zog sie herab auf das ausgetretene Fell, das in der holzgetäfelten Vorhalle auslag, presste seine Zunge in ihren Mund. Es schauderte sie, wenn ihre nackten Füße das Leder seiner verdreckten Stiefel streiften. Anschließend führte Akendor sie die knirschende Treppe herauf, um sie im schmalen Zimmer am Ende des Ganges auf das Bett zu zerren, wo die Dienerschaft bereits ein schwarzes Samttuch ausgebreitet hatte. Ceyla ekelte sich vor dem weichen, glatten Samt; es schien sich lüstern an ihren Rücken zu schmiegen, und wenn es Falten warf, fühlte es sich an, als leckten kleine, verdorrte Zungen über ihre Haut. Dennoch wagte Ceyla nicht, das Tuch fortzunehmen. Sie wusste, dass es auf Akendors ausdrücklichen Wunsch ausgebreitet worden war. Er wollte Ceyla stets auf dem schwarzen Samttuch nehmen, und wer war sie, dass sie seinem Verlangen widersprochen hätte? An manchen Tagen, wenn Akendors Gier sie nicht abstieß, wenn sie gar Gefallen an seiner Liebe fand, machte ihr das obszöne Lecken des Samtes nichts aus. Doch da waren die anderen Tage; dann fürchtete sie das Tuch und Akendors Berührungen. Wenn er von ihr abgelassen hatte, legte er sich meist neben sie und starrte sie aus großen Augen an. Dann begann er zu sprechen, voller Hast; sprach von den Fürsten, die er so verabscheute; von Binhipar und Scorutar, vor allem aber von Tundia Suant, seiner einstigen Verlobten, die es gewagt hatte, Ceyla einzuschüchtern. Um sie vor dieser Frau zu schützen, hatte er Ceyla nach Durdun gebracht. »Hier bist du vor ihr sicher«, hatte er ihr versprochen. »Hier brauchst du nicht zu fürchten, dass Tundia Suant dir auflauert und das Gift ihres Bruders versprüht.«
Ceyla hatte sich schnell an Haus Durdun gewöhnt. Sie weinte dem düsteren Thakstel keine Träne hinterher. Allerdings war ihr Leben recht einsam geworden, denn Akendor war nur während der Abendstunden bei ihr. Am Tag und in der Nacht aber war Ceyla allein.
Dann kamen die Gedanken. Sie dachte an die gedrungene Burg nahe der palgurischen Küste, in der sie aufgewachsen war; an den verfallenen Turm, den sie in ihren Kindertagen so manches Mal erklommen hatte, um von dort auf das glitzernde Wasser der Silberbucht zu blicken; an den Weiher am anderen Ende des Dorfes, in dem sie mit ihrem älteren Bruder Fische gefangen hatte. Sie dachte an ihre schweigsame Mutter, die ihr beigebracht hatte, wie eine Adelige sich kleidete und schminkte und sich im Beisein hoher Gesellschaft verhielt. Sie dachte an den jähzornigen Vater, einen palgurischen Ritter, der sich zumeist in der Fürstenstadt Persys aufhielt und nur selten zu Hause war; der erst dann begonnen hatte, sich für Ceyla zu interessieren, als ihr Körper weibliche Formen angenommen
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