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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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jener Schlamm, den Laghanos schon bei seiner ersten Reise gesehen hatte. Er überzog alles wie eine fahle Haut, er war ein feuchter Morast, der alles unter sich begrub und erstickte, in dessen Tiefen die Gehäuteten lauerten und sich in ohnmächtigem Hass verzehrten.
    Wohin bringt mich der Hauch?,
fragte sich Laghanos.
Was ist mein Ziel?
Er beschloss, sich treiben zu lassen, wohin der Hauch ihn auch führte.
    Als sich die Welt um ihn veränderte, bemerkte Laghanos es zunächst kaum. Das wirre Farbenspiel des Hauches verglühte. Dunkle Wände schoben sich aus verborgenen Winkeln hervor wie Kulissen aus der Versenkung einer Bühne. Der Raum verengte sich, umschloss Laghanos, nahm die Gestalt einer gedrungenen Höhle an, deren Wände aus schwarzem Lehm bestanden. Laghanos spürte, wie auch sein eigener Körper sich verdichtete und seine ursprüngliche Form annahm, wie sich Arme und Beine von seinem Leib entfalteten wie Insektenflügel. Er fühlte Schlamm zwischen den Zehen emporkriechen, er spürte ölige Tropfen von der Decke auf seinen nackten Rücken tropfen.
    Vorsichtig blickte Laghanos sich in der Höhle um. Er entdeckte zwei am Boden kauernde, menschliche Gestalten, gehüllt in Lumpen. Er hörte ihren scharrenden, feuchten Atem, unterbrochen von gehetztem Flüstern. Sie hielten sich an den Händen und rangen miteinander, als ob sie um etwas stritten. Sobald sie seiner gewahr wurden, fuhren sie jäh auf. Zwei grässliche Augenpaare starrten Laghanos an.
    ›Du hast uns verratene zischte die kleinere Gestalt. Laghanos erkannte unter der zerlumpten Kapuze das wirre Haar und den Bart eines Mannes, der ihm auf unheimliche Weise vertraut schien.
    ›Schändlich und schamlos bist du‹, stieß die zweite Gestalt hervor. ›Wir dachten, dass du uns beschützt, dass du uns liebst. ‹ Ein hageres Gesicht, faltenzerfurchte Wangen, der Kopf kahl und glatt.
    ›Alles haben wir dir gegebene rief der Erste, ›unser Wissen, unsere Macht! Doch du hast uns nur benutzte Er wand sich wie unter Schmerzen. Stöhnend krampfte er sich zusammen, und seine Augen platzten auf. Flüssiges Silber tropfte hervor.
    Sorturo,
schrie es in Laghanos auf. Er wich ungläubig vor den beiden Gestalten zurück. Ja, es war Sorturo, sein Lehrer, sein Meister! ›Sorturo‹, stammelte er fassungslos. ›Ihr … Ihr lebt?‹ Auch die zweite Gestalt erkannte er nun: Es war Charog, der Großmeister seiner Universität!
    ›Nennst du das Leben?‹, höhnte Charog. Er streckte Laghanos die Arme entgegen. Silbern blitzten die Adern auf seinen Handflächen, seinen Unterarmen. ›Das ist kein Leben - es ist jahrhundertlange Qual. Du hast uns verraten, uns geschändet, uns diesem Elend überlassen.‹
    Laghanos starrte ihn entsetzt an. Er schüttelte den Kopf. ›Nein, Ihr könnt es nicht sein‹, flüsterte er. ›Charog ist tot! Ich habe gesehen, wie der Gehäutete ihn zerriss!‹
    ›All das Leid‹, brüllte Sorturo. Er griff nach Laghanos' Händen. ›Dafür sollst du büßen! Rache für unseren Schmerz.‹
    ›Ja, lass ihn leiden‹, fauchte Charog, ›er soll spüren, was er uns antat, er und seine Brüder !‹ Ein Verdacht stieg in Laghanos auf. Dies waren nicht Sorturo und Charog; es waren Visionen, Erscheinungen, Geister …
    ›Ihr könnt mir nichts anhaben‹, stieß er hervor. ›Ich trage die Maske Drafurs!‹ Er deutete auf sein Gesicht. ›Seht ihr sie? Erkennt ihr das Zeichen?‹
    Die Gestalten verharrten. Ihre Münder weiteten sich, als wollten sie einen Schrei ausstoßen. ›Drafur!‹, keuchte die Erscheinung Sorturos. ›Sei gnädig!‹
    ›Drafur‹, flehte die zweite Gestalt und brach in sich zusammen. ›Erlöse uns! Du hast versprochen, unserem Leiden ein Ende zu setzen! Erlöse uns endlich …‹
    Laghanos blickte die beiden Gestalten mit weit aufgerissenen Augen an.
Die Träne des Nordens, das Auge der Allmacht, der schlummernde Diener der Hügelfeste …
Die Quelle von Larambroge hatte ihn zu sich gerufen wie einst in seiner Kindheit, als er sie seinem Willen unterwarf, ohne zu ahnen, woher diese Macht kam und warum er sie zu lenken vermochte. Er griff nach den Händen der beiden Erscheinungen. ›Hab keine Angst, Träne des Nordens‹, sagte er ruhig. ›Ich werde dir nicht mehr wehtun. Du sollst nie wieder Schmerzen haben. ‹ Die Geister der Quelle drängten sich ihm entgegen. ›Frei‹, murmelten sie erschöpft, ihre Stimmen vereint zu einem Chor, ›ich will frei sein, frei von dir und deinesgleichen‹
    ›Du bist frei‹,

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