Nebelriss
engen Gang, den Kopf eingezogen, die Hände schützend nach unten gerichtet. Immer wieder glitt sie auf dem moosbedeckten Grund aus, riss sich an scharfkantigen Steinen Knöchel und Handflächen auf. Um sie pulsierte im raschen Takt das magische Licht der Quelle.
Schließlich endete der Gang und mündete in eine Höhle. Weißer Nebel waberte Naikaya entgegen und nahm ihr die Sicht. Sie griff nach dem silbernen Amulett, das um ihren Hals hing. Dann trat sie aus dem Gang und wisperte die Worte des Schutzes.
Es war entsetzlich kalt, als sie in den Nebel der Höhle eintauchte. Wie ein eisiger Hauch kroch er unter ihr Gewand, hüllte ihren Körper in frostige Nässe. Naikaya kniff die Augen zusammen und versuchte in der weißen Leere etwas zu erkennen. Vergeblich; allein der Boden hob sich als graue Fläche ab. Gelegentlich schimmerten die bleichen Zeichen der in Silber gefassten Schutzrunen auf.
»Malcoran«, schrie sie, so laut sie es vermochte. »Malcoran, wo bist du?« Der Dunst saugte ihre Worte auf wie Watte. Sie hob das Amulett empor. »Malcoran! Du musst mich anhören!« Sie fühlte, wie sich der schläfrige Geist der Quelle ihr zuwandte. Verunsichert setzte sie einen Schritt zurück. Es gelang ihr mithilfe des Amuletts, die Nebelschwaden zurückzutreiben. Mit einem schlürfenden Geräusch flohen sie, stürzten wie gebrochene Wellen in die Schlucht zurück, die sich nun dicht vor Naikaya abzeichnete.
Im schwindenden Dunst erkannte Naikaya die Konturen einer Gestalt. Es war Malcoran! Mit ausgebreiteten Armen stand der Logenmeister am Rand der Schlucht; er hatte ihr den Rücken zugewandt. Das schwarze Haar hing nass auf seine Schultern herab. Sein Körper war steif und starr; das grüne Gewand spannte sich über den kräftigen Oberarmen.
Naikaya stürzte auf ihn zu. »Malcoran … ich habe die Zeichnung gefunden«, rief sie. »Die Maske, die Laghanos trägt, ist von größerer Macht, als wir ahnten. Du musst das Ritual abbrechen!«
Malcoran gab keine Antwort. Der Saum seines Gewandes wehte sanft im Sog des niedersinkenden Nebels. Vorsichtig legte Naikaya ihre Hand auf seine Schulter.
»Komm zu Bewusstsein«, bat sie leise. Langsam drehte sie den starren Körper zu sich herum. Das Amulett entglitt ihren Fingern, als sie sein Gesicht erblickte. Es war schwarz eingefallen, Nase und Mund nichts als dunkle Löcher, von verkrusteter Haut umgeben. Aus den leeren Augenhöhlen des Zauberers tropfte schlieriges Blut. Dort, wo einst die Stirn, wo die Wangen des Logenmeisters gewesen waren, klebten blaue, rissige Klumpen verkohlter Haut auf den Schädelknochen. Zitternd wich Naikaya zurück. Sie hörte das Raunen der Quelle, das leise Rauschen aus der Schlucht. Ihre Knie gaben nach, sie brach zu Boden. Ihre Finger streiften etwas Kaltes, Weiches: den zusammengefallenen Körper eines Zauberers, kenntlich allein durch die Robe, die er trug. Es war Flanon. Sein Kopf war zusammengeschrumpft zu einem faustgroßen blauschwarzen Klumpen, von dem die Haare abstanden wie verdorrte Strohhalme.
Der Nebel hatte sich nun endgültig zurückgezogen. Hell und fahl eröffnete sich die Höhle ihren Augen. Überall lagen die leblosen Körper der Zauberer, teils auf dem Boden zusammengesunken, teils aufrecht stehend mit erstarrten Gliedern. Der Innere Zirkel der Malkuda …
»Tot«, flüsterte Naikaya mit heiserer Stimme, »sie sind alle tot!« Das höhnische Raunen der Quelle klirrte aus der Schlucht. Naikaya rutschte auf dem seifigen Boden zurück, fort, fort von den Leichen. Ihr Blick streifte den silbernen Sockel am Rand der Schlucht. Dort lag regungslos der Körper des Jungen.
»Laghanos«, flüsterte Naikaya. Sie erhob sich und taumelte auf ihn zu.
Das Kind hatte die Augen geschlossen. Die Maske in seinem Gesicht war starr. Auf seinen Lippen bebte ein hastiger Atem. Seine Hände waren von den Fingerspitzen bis zum Ellenbogen mit Blut besudelt. Als die Zauberin sich über Laghanos beugte, öffnete er die Augen. Langsam richtete er sich auf. Die Amulette auf seiner Brust schlugen mit einem Klirren gegeneinander.
»Sie sind hier, Naikaya«, stieß er hervor. »Es ist meine Schuld.«
Ihr lief ein Schauer über den Rücken. »Was ist geschehen, Laghanos?«
Ein heiseres Lachen löste sich aus seiner Kehle. »Die Goldei … ich habe sie nach Oors Caundis gebracht. Ich habe sie zu Euch geführt.« Er blickte sie aus rot unterlaufenen Augen an. »Ihr werdet alle sterben, alle. Ihr könnt ihnen nicht entkommen.«
Sie schrie auf und
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