Nebelriss
Kopf fordert«, erwiderte Baniter. »Hat man eine Spur von Sadouter entdeckt?«
Der Siegelmeister schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Die Anub-Ejan und Bena-Sajif durchkämmen die gesamte Stadt. Sadouter wird nicht weit kommen.« Grimmig blickte er zu dem Fürsten. »Ich habe Euch gewarnt, dass der junge Suant uns nichts als Ärger bereiten wird. Diese Tat kann unseren Tod bedeuten! Inthara wird die Erschlagung von zwei Anub-Ejan-Mönchen kaum dulden.«
Baniter musterte ihn erschrocken. »Was ratet Ihr mir?«
»Sobald Sadouter gefasst ist, müsst Ihr ein Exempel statuieren«, beschwor ihn der Siegelmeister. »Nur so könnt Ihr den Zorn der Arphater besänftigen.«
Baniter schüttelte den Kopf. »Sadouter Suant ist der Angehörige einer Fürstenfamilie. Allein dem Silbernen Kreis steht es zu, über ihn zu richten.«
»Dann müsst Ihr zumindest die Klippenritter bestrafen«, erwiderte Mestor Ulba. »Sie haben sich Eurem Befehl widersetzt und unsere Mission gefährdet. Verurteilt sie zum Tode, um den Arphatern Genugtuung zu verschaffen. Man wird Euch in Thax keinen Vorwurf daraus machen - eher wird man Euch dankbar sein, wenn Ihr im Prozess gegen die Klippenritter neue Beweise für die Verkommenheit des Ordens liefert.« Baniter musterte Mestor Ulba nachdenklich. Dann griff er nach seinem Gewand, das neben dem Bett bereit lag. »Verflucht sei dieser Schafskopf Sadouter! Ich hätte ihn nicht aus den Augen lassen dürfen.« Vergeblich versuchte er zu ergründen, was den Adeligen zu seiner Wahnsinnstat getrieben hatte. Er konnte nur hoffen, dass die Anub-Ejan ihn fanden, bevor er weiteres Unheil anrichten konnte.
Gespenstische Ruhe herrschte in der großen Halle des Norfes-Tempels. Rotgolden fiel das Licht der Abendsonne durch die bunten Tücher, die sich zwischen den Säulen spannten. Leise klirrten die in den Stoff eingewirkten Ringe, wenn der Wind gegen sie schlug.
Baniter stand in der Mitte der Halle und spielte ungeduldig mit dem Saum seines Gewandes. Sein Blick sprang zwischen den übrigen Anwesenden hin und her. Dort, am Fuß einer Säule, hockte auf einem Kissen Lyndolin Sintiguren und studierte ihre alte Sternkarte. Die grauen Haare verdeckten ihr Gesicht, doch Baniter konnte gelegentlich ein Murmeln aus ihrer Richtung vernehmen. Daneben stand Mestor Ulba; nervös strich er sich durch den grauen Vollbart und starrte zum Eingang des Tempels, wo mit ausdruckslosen Gesichtern vier BenaSajif-Mönche Wache hielten. Ihre grünen Klingen glitzerten gefährlich im Sonnenlicht. Am anderen Ende der Halle, unweit der Götzenstatue des Norfes, standen die sitharischen Ritter, angeführt von Merduk und Gahelin. Baniter hatte ihnen befohlen, ihre Schwerter abzulegen, um die Bena-Sajif nicht zu provozieren. Von den arphatischen Dienerinnen war hingegen keine Spur zu entdecken. Sie hatten den Tempel in den Morgenstunden verlassen, ohne jede Vorwarnung. Warum und wohin sie gegangen waren, erfuhren die Gesandten nicht. Baniters Bitte um eine Unterredung mit dem Priester Sentschake oder zumindest mit Ejo, dem Schechim der Anub-Ejan, hatten die Wachen mit unfreundlichen Gesten zurückgewiesen. So war den Gesandten nichts anderes übrig geblieben, als zu warten. Der Morgen, der Mittag verstrich, ohne dass man ihnen eine Mahlzeit brachte; nicht einen einzigen Krug Wasser bekamen sie. Ihre Kehlen waren ausgetrocknet, in ihren Bäuchen nagte der Hunger. Doch stärker noch plagte sie die Ungewissheit, was mit ihnen geschehen würde. Baniters Blick wanderte zu der grässlichen Statue in der Mitte der Halle. Mit breitem Grinsen räkelte sich der Dämonengott Norfes auf seinem Sockel; sein schlangenartiges Glied ragte obszön in die Höhe. Es schien Baniter, als prostete Norfes ihm mit dem Becher in der Hand höhnisch zu.
»Auf dich, Norfes«, murmelte Baniter vor sich hin. »Dein Tempel ist mir endgültig zum Gefängnis geworden.« Er musste an Teregon Horra denken, den früheren Gesandten Sithars. Auch ihm war der Aufenthalt im NorfesTempel nicht gut bekommen.
Sie haben ihm die Hände abgetrennt und ihn durch die Stadt getragen. Welchen Körperteil wird man wohl mir abschlagen, um mich zu verhöhnen?
Das Licht draußen schwand spürbar. Die Dämmerung flutete den Tempel; das Tuch, das den Eingang verhüllte, glomm wie eine Feuerwand, vor der sich unheimlich die Gestalten der Bena-Sajif abhoben. Doch plötzlich geriet dieses Feuer in Wallung. Stimmen wurden hinter dem Tuch laut, dann wurde es hastig zur Seite gerissen. Die
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