Nebelriss
Goldei in den Kopf. Die Klaue sank herab, prallte mit metallenem Laut auf die Eisenkiste und verglühte wie ein verbrennender Nachtfalter.
Cercinor packte den leblosen Echsenleib und schleuderte ihn von den Kisten. Dann packte er die flache Kiste. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Nun helft mir endlich, verflucht, helft mir!«
Die beiden Ritter sprangen an seine Seite. Gemeinsam gelang es ihnen, die Kiste anzuheben. Sie war von geringerem Gewicht, als sie angenommen hatten.
»Dorthin, dort drüben«, befahl Cercinor mit gepresster Stimme, »dort sind wir in Sicherheit!« Graman Serffa blickte sich panisch um. Der Scaduif musste irgendwo sein, irgendwo … doch noch immer konnte er den rot geschuppten Goldei nicht ausmachen. Er schien wie vom Erdboden verschluckt.
Endlich hatten sie die Kiste hinter einen Baum geschleift. Eifrige Hände nahmen ihnen das schwere Gewicht ab. Graman Serffa sank erschöpft zu Boden. Er sah Duane zwischen den Bäumen hervoreilen, die Augen voller Angst aufgerissen.
»Cercinor! Wir können uns nicht mehr lange halten«, hörte er ihre atemlose Stimme, »sie sind zu stark … wir müssen unsere Leute zur Flucht rufen!«
»Erst, wenn die Kiste in Sicherheit ist«, zischte Cercinor. »Sie können uns nicht verfolgen.« »Sie haben bereits die Oberhand gewonnen«, schrie Duane. »Dieser Wahnsinn muss aufhören! Lass die Kiste hier stehen; sie behindert nur unsere Flucht!«
»Nein!«, befahl Cercinor. »Gib uns noch zehn Minuten, Duane! Zehn Minuten …«
Duane schüttelte verständnislos den Kopf. »Du weißt nicht einmal, was in ihr verborgen ist! Warum machst du sie nicht auf, um zu sehen, ob es sich lohnt, dafür ein Dutzend Leute zu opfern?« Sie schritt an seine Seite und ließ ihre Hand über die kalte Oberfläche der Kiste fahren. »Siehst du diese Schlitze, Cercinor? Es sind Luftlöcher!
Vielleicht ist tatsächlich ein wildes Tier darin, wie die Bürger von Andelark gesagt haben.« »Lasst sie besser geschlossen«, stieß Periston Aderint hervor.
Cercinor lachte auf. »Habt Ihr etwa Angst, Ritterchen?« Er legte sein Ohr auf die Kiste. »Ich kann keine Geräusche aus dieser Kiste vernehmen! Wir werden sie öffnen - jetzt gleich!« Einer seiner Gefolgsleute stürzte herbei, bewaffnet mit einem rostigen Haken. Er setzte ihn unterhalb des Deckels an und versuchte die Kiste aufzustemmen.
Wieder drang der lang gezogene Todesschrei eines Menschen aus dem Wald. Der Kampfeslärm schien näher zu kommen.
»Beeilt euch!«, stieß Graman Serffa hervor. »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren!«
Mit einem hässlichen Geräusch, dem Zersplittern eines Glasspiegels ähnlich, sprang der Deckel auf. Weißer Nebel stieg aus dem Inneren der Kiste, waberte schwerfällig über den Rand. Cercinor kniff die Augen zusammen und versuchte, die Konturen zu erkennen, die sich unter dem Nebel abzeichneten.
»Ein Kind!«, flüsterte er. »Ein Junge!«
Tatsächlich: im Innern der Kiste lag ein Junge, wohl zwölf Jahre alt, kurzes schwarzes Haar. Er war vollkommen nackt. Seine Haut glänzte blass und milchig. Sein Gesicht war nicht zu erkennen; es wurde unterhalb des Haaransatzes von einem weißen Tuch verdeckt.
»Lebt er noch?«, fragte Duane leise.
Cercinor beugte sich zur Kiste herab. Rasch zog er das Tuch zur Seite - und schreckte angewidert zurück. Ein goldenes Konstrukt blitzte unter dem Tuch auf; eine komplizierte Anordnung feiner Metallstäbe und Platten, ineinander verzahnt und miteinander verwoben. Sie bestanden aus reinem Gold; einige von ihnen bewegten sich, kreisten umeinander, zuckten wie kleine Muskeln. Zwischen den Stäben aber war das Gesicht des Jungen zu erkennen; die rosige Haut, die schmalen Lippen, auf denen ein rascher Atem bebte, und auch die aufgerissenen, nussbraunen Augen, die zum Himmel aufblickten. An den Schläfen waren die goldenen Stäbe gebogen und mündeten in die Haut, obwohl keine Wunde, keine Narbe zu sehen war. »Lebt er noch?«, wiederholte Duane.
Das Entsetzen in ihrer Stimme brachte Cercinor zur Besinnung. »Hebt ihn vorsichtig aus der Kiste«, wies er die Räuber an, »und dann ruft zum Rückzug. Ich denke, wir haben genug von diesen Echsen gesehen.«
KAPITEL 7 - Glut
Schon von weitem konnte man den Rauch sehen. In dicken Schwaden stieg er auf; ein dunkelroter Staub, von heißem Dampf aus dem Schlund des Vulkans empor getragen. Jeder Wanderer, der von Süden her auf dem Weg der Pracht nach Thax zog, musste an ihm vorbei; an Arnos, dem Brennenden Berg,
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