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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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der wenige Meilen vor den Toren der Hauptstadt lag. Wenn man ihn erblickte, hatte man das reiche Varona mit seinen fruchtbaren Feldern und den zahlreichen, sich verzweigenden Flüssen hinter sich gelassen. Nun lösten Geröll und verdorrte Sträucher die vielfältige Vegetation des Südens ab, und der Weg der Pracht führte beharrlich aufwärts, empor zum palidonischen Hochland, zu den Fürstentümern Thax und Palidon.
    Am Brennenden Berg war einst die Grenze zwischen dem wilden, unzivilisierten Süden und dem Königreich Arphat verlaufen. Bis zu diesem Punkt war der legendäre König Apetha, Gründer des arphatischen Reiches, mit seinem Heer vorgedrungen, und hier war er in den Hinterhalt seiner Feinde aus Candacar geraten. Man erzählte sich, dass er im Angesicht des feindlichen Heeres zum Gipfel des Brennenden Berges geritten und dort mit seinem Pferd in der Glut verschwunden war.
    Es war eine der vielen Legenden, die sich um den geheimnisvollen Berg Arnos rankten, und die Bewohner der umliegenden Dörfer liebten es, sie den Durchreisenden zu erzählen; etwa jene vom wahnsinnigen Schmied Thak, der sich mit dem Gott des Berges verbündet und dessen hübsche Tochter zur Frau genommen hatte. Doch als sie ihn betrog, zerschmetterte der Schmied ihr den Kopf auf seinem Amboss, worauf der Gott des Berges Rache nahm und die Welt in Feuer ertränkte.
    Doch am beliebtesten war die Sage vom heiligen Durta Slargin, dem größten Zauberer, den die Welt je gesehen hatte. Er hatte vor über tausend Jahren die Quellen bezwungen und den Menschen die Magie geschenkt. Auch zum Berg Arnos war er gekommen, hatte die bösen Vulkangeister gebannt und die Quelle gezähmt; und schließlich hatte er eine Gemeinschaft gegründet, die dem mächtigen Gott Tathril huldigte. Aus diesem Orden, der Tathrilya, war bald die Kirche des Tathril entstanden, die den Menschen des Südens den Weg zur Wahrheit gewiesen hatte.
    So war der Brennende Berg vieles zugleich: ein Symbol der arphatischen Schreckensherrschaft, ein Heiligtum der Kirche, ein Ort der Märchen und Sagen - und ein Zentrum der Magie. Denn unter dem Berg Arnos, wo die Kräfte des Feuers wüteten, befand sich das Auge der Glut, die mächtigste Quelle des Südens. Seitdem Durta Slargin sie gebändigt hatte, wachte die Kirche über sie, und außer dem Hohepriester von Thax und seinen engsten Vertrauten durfte niemand die Hallen unter dem Vulkan betreten.
    Behutsam goss Nhordukael die Flüssigkeit in die Schale. Der betäubende Geruch des Öls stieg ihm in die Nase. Sorgfältig träufelte er die letzten Tropfen aus der silbernen Amphore.
    ZWEIFEL … DAS BLEICHE KIND IST VOLLER ZWEIFEL … HAT SICH VOM GOTT DER WAHRHEIT ABGEWANDT … VERFLUCHT SOLL ES SEIN, VERFLUCHT …
    Nhordukael blickte auf den Vulkansee: ein Felsenbecken, in dem glühend heiß die Lava brodelte. Zischend fuhren gleißende Fontänen geschmolzenen Gesteins empor; glühende Blasen warfen sich auf und zerplatzten mit dumpfem Knall; violett schimmernde Flammen sprangen über die unruhige Oberfläche des Sees. Von dem dunkelroten Leuchten des Vulkansees hoben sich die Konturen vierer steinerner Gestalten ab; grob gehauene, übergroße Menschenstatuen, deren Schatten im Glutschein tanzten. Doch nicht nur ihre Schatten bewegten sich. Wenn man sie genau betrachtete, konnte man das Beben ihrer plumpen Gliedmaßen und ihrer gemeißelten Köpfe erkennen.
    DAS HERZ VERDORBEN … KENNT WEDER MITLEID NOCH FURCHT … VERACHTET DAS LEBEN …
Ihre Stimmen schwebten als körperloses Grollen im Raum. Einen Mund besaßen sie nicht; ihr Gesicht war nichts als unbehauener Stein, durch den zwei Löcher geschlagen waren. Das rote Schimmern des Sees fiel hindurch, und so wirkten die Löcher wie glimmende, zornentbrannte Augen, die Nhordukael anstarrten. In der Halle der Glut gab es beinahe hundert dieser Steinfiguren. Man nannte sie die Thiurone, die Stummen Wächter. Reglos bewachten sie die Zugänge des Heiligtums, die primitiv geformten Hände drohend erhoben. Doch vier der Thiurone waren beseelt. Ein mächtiger Zauberspruch hatte sie zum Leben erweckt. Mit schleppenden Schritten durchwanderten sie die Halle, ohne Richtung, ohne Ziel. Ihr unheimliches Flüstern drang von allen Seiten, unvollständige Sätze ohne Sinn.
    MUSS FORT VON HIER … MUSS STERBEN … SEIN KÖRPER MUSS BRENNEN UND VERGEHEN …
Schweigend beobachtete Nhordukael die Thiurone. Dann blickte er zu Magro Fargh hinüber, der unweit von ihm auf einem Steinvorsprung kauerte.

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