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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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wünschen, ihn niemals betreten zu haben.«
    Die Kisten waren aus Metall gefertigt, einer matt schimmernden Eisenlegierung. Entfernt ähnelten sie Würfeln, doch ihre Seitenflächen waren von unregelmäßigen Ausbuchtungen und Vertiefungen durchbrochen, als hätte eine mächtige Hand an ihnen gezerrt. Sie waren mit goldenen Verzierungen versehen; manchmal, wenn ein Sonnenstrahl durch die Zweige fiel, glommen in seinem Licht fremdartige Zeichen auf, Symbole aus ineinander verwobenen Linien. Und dazwischen konnte man kleine Schlitze und Öffnungen erkennen. Die vier Kisten ruhten auf hölzernen Bahren, die von jeweils sechs Goldei getragen wurden. Langsam kämpften sich die Echsen durch das Gesträuch, wählten jeden ihrer Schritte mit äußerster Vorsicht. Doch immer wieder gerieten sie auf dem nassen, modrigen Untergrund ins Wanken. Dann tanzten die schweren Kisten bedrohlich über ihren Häuptern, und ein zischender Befehl ermahnte sie zu größerer Vorsicht. Der Rotgeschuppte, der Scaduif, Aquazzan der Wegführer, wachte über jeden ihrer Schritte; seine schwarzen Augen suchten fortlaufend den Boden ab, um Vertiefungen und sumpfige Stellen, gefährliche Dornenranken und im Moos verborgene Äste zu entdecken. Je näher sie dem Rochen kamen, desto modriger wurde der Grund. Immer häufiger quoll unter der Moosdecke schwarzer Humus hervor, stand regenbogenschillernd das Wasser in Pfützen und Erdlöchern. An den Baumstämmen wucherten ockerfarbene Schwämme, und unter Zypressengewächsen ragten zerfallene Baumleichen hervor, besetzt mit grellroter Fäule. Tief sanken die schweren Pranken der Echsen in den Schlamm, begleitet vom Sirren der Libellen und Mücken.
    Plötzlich stockte der Zug der Goldei. Der Rotgeschuppte hatte Einhalt geboten. Schweigend warteten die Echsen, und die Kistenträger setzten die Bahren ab.
    Aquazzan beugte sich langsam zu einem klobigen, überwachsenen Gegenstand herab, der ihnen den Weg versperrte. Mit den Klauen kratzte er vorsichtig das Moos beiseite; einige Weberknechte und Asseln lösten sich aus der darunter verborgenen Erdkrume und hasteten aufgeschreckt über die Krallen des Goldei. Es handelte sich um einen überwucherten, wohl ein Schritt hohen Stein. Als Aquazzan die Flechten und Farne zur Seite zog, kam eine glatte, fleischfarbene Oberfläche zum Vorschein. Sie wies eine feine Struktur auf; dünne, silbrige Adern verzweigten sich in dem Gestein. Sie wirkten wie eine komplizierte Schrift, wie sorgfältig aufgetragene Tuschestriche.
    Hastig richtete der Goldei sich auf. Er wandte den Schädel, sodass sich die rote Schuppenhaut an seinem Hals spannte. Kurz stand er still, vollkommen unbeweglich. Dann aber schien er etwas entdeckt zu haben; mit eiligen Schritten stieg er durch das Gestrüpp, schlug ungeduldig die Zweige und Farne beiseite. Schließlich hielt er vor einer weiteren Erhebung inne, riss erneut das Moos fort: ein zweiter Stein, halb im Schlamm versunken, doch ebenso beschaffen wie der erste.
    Langsam erhob sich der Goldei. Seine Augen waren geschlössen; unter den dünnen Lidern sah man sie unruhig hin- und herwandern. Ein Zucken ging durch seinen Körper, und der dünne Schwanz schnellte empor, wand sich wie eine Schlange.
    Dann aber ließ ihn ein ferner, schriller Klang herumfahren, ein mehrfach wiederholtes grelles Pfeifen. Hastig riss Aquazzan die Augen auf. Sein Blick fuhr empor zur Walddecke. Die Wipfel der Bäume waren in Bewegung geraten. Schwarze Schatten lösten sich aus den Zweigen, und gleichzeitig schwoll lautes Vogelgeschrei an, grell und klagend, das wie ein Echo aus allen Richtungen widerhallte. Unzählige große Vögel sanken herab; ihre Flügel peitschten durch die Luft, schlugen gegeneinander. Zahlreiche Vögel verloren das Gleichgewicht, taumelten mit klagenden Rufen herab. Schützend hielten die Goldei ihre Klauen empor, als die aufgescheuchten Vögel auf sie niedergingen. Fauchend schlugen sie nach ihnen; und die Vögel, vollkommen verängstigt, schreckten wieder auf, versuchten zu den Baumkronen zurückzufliegen. Doch von dort stürzten weitere Vögel herab, panisch schreiend und mit den Flügeln schlagend. Ihr schrilles Pfeifen war zu einem ohrenbetäubenden Lärm angeschwollen. In diesen mischten sich plötzliche Rufe, der gequälte Aufschrei eines Goldei, der Aufprall von Steinen gegen einen hohlen Stamm. Zwischen aufpeitschenden Vogelleibern, zuckenden Flügeln, umherschnellenden Zweigen brach ein Goldei zu Boden.
    Ein Brüllen löste sich aus

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