Nebelriss
Hohepriester. Das greise Gesicht war wutverzerrt, seine Fingernägel bohrten sich in Nhordukaels Schulter.
»Bist du noch bei Trost?«, schrie Magro Fargh. Sein Kopf zitterte vor Anstrengung. »Merkst du nicht, wie nah du dem Auge der Glut gekommen bist?«
Erschrocken ließ Nhordukael die Hände sinken, von denen noch immer in blauen Flammen das Öl tropfte. »Beinahe hätte der Zorn der Quelle dich erfasst!« Magro Farghs Stimme überschlug sich. »Noch wenige Augenblicke, und sie hätte dich zerrissen!«
Nhordukael fasste sich an die Lippen. Er spürte, dass warmes Blut seine Finger benetzte. Rasch kniete er sich zu Boden, und hustend spuckte er den roten Speichel aus, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. Ein brennender Schmerz wallte durch seinen Hals, als hätten winzige Scherben ihm die Kehle zerschnitten. Magro Fargh ließ sich neben ihm nieder. Er atmete schwer. »Jeden anderen Priester deines Alters hätte Tathril hinweggerafft. Dich aber hat er verschont, Nhordukael!« Er tastete nach der Hand des jungen Priesters. »Er spürt deine Kraft … und spürst du nicht die seine? Spürst du nicht, was er dir sagen will?« Seine Stimme klang so kalt und scharf wie ein Dolch. »Nur mit deiner Hilfe kann ich dieses Ritual beenden! Du musst dich endlich konzentrieren; du musst dich beherrschen! Nur so kann ich weiterleben!«
Nhordukael schloss angewidert die Augen. Er gab keine Antwort.
»Demut! Trete deinem Gott in Demut gegenüber - wie oft habe ich es dir gesagt«, spie der alte Priester aus. »Doch du willst meine Worte nicht hören! Dir bleibt nicht mehr viel Zeit! Du musst dich entscheiden, ob du Tathril gehorchen oder von seiner Macht verschlungen werden willst!«
Hass stieg in Nhordukael auf.
Tathril!,
höhnte er in Gedanken.
Hier ist er, dein Gott - nichts weiter als die jämmerliche, qualvoll verzerrte Magie einer geknechteten Quelle! Und du verdorbener Greis betest sie an in deiner Verblendung!
Erschrocken hielt er den Atem an.
Nein! Das habe ich nicht gesagt, nicht gedacht, nicht gefühlt … vergib mir, Tathril, vergib mir …
Doch er spürte, dass sein Flehen lächerlich war und sinnlos; dass er den eigenen Gedanken keinen Glauben mehr schenkte, so wie er auch den Glauben an Tathril verloren hatte.
Scorutar beugte sich vor. Kalt schlug ihm der Wind durch die Fensteröffnung entgegen, wirbelte sein Haar empor. Er legte die Hände auf die steinerne Brüstung und genoss die Kälte des Steins, die langsam von seinen Fingerspitzen Besitz ergriff.
»Noch nie bin ich so gedemütigt worden!«, hörte er hinter sich die erboste Stimme Binhipars. »Und dies ist allein Eure Schuld! Ich hätte mich niemals auf Euch verlassen dürfen!« Wütend schleuderte Binhipar den vor ihm stehenden Becher vom Tisch. Er zerbarst auf dem Boden mit einem dumpfen Klirren. Schwerfällig schwappte der Wein zwischen den Scherben hervor.
Scorutar blickte über die Schulter auf die Reste des tönernen Gefäßes. »Ihr langweilt mich«, sagte er. »Warum geht Ihr nicht in Euer Gemach und legt Euch schlafen? Heute können wir ohnehin nichts mehr tun.« Entrüstet sprang Binhipar von seinem Schemel auf. »Spart Euch Eure Frechheiten!«, schrie er. »Ihr habt dieses Debakel zu verantworten! Wenn Ihr mit Euren Forderungen im Thronrat nicht so aufgetrumpft hättet, wäre unser Erlass von den Fürsten angenommen worden! Stattdessen haben sie sich für einen Bündnisvertrag mit Arphat entschieden, und wir dürfen dabei zusehen, wie Arkon Fhonsa und Perjan Lomis uns das Heer und die Flotte entziehen! Vor zwei Tagen hat Arkon sich die Erlaubnis vom Kaiser geholt, die Heereslisten und Ritterbriefe der letzten zehn Jahre einzusehen! Das hat noch kein Fürst gewagt.«
»Dann ist er wenigstens beschäftigt«, erwiderte Scorutar unbeeindruckt. »Dieser thokische Karawanenschieber könnte eine Heeresliste nicht von einem Kartenspiel unterscheiden. Es wird ein halbes Jahr vergehen, bis Arkon begreift, was die wundersamen Zahlen und Kürzel in den Listen zu bedeuten haben.«
»Ein oberflächlicher Blick genügt, um zu sehen, dass die Zahlen gefälscht sind«, bellte Binhipar. »Was das für Folgen haben kann, wisst ihr selbst! Die Ritterschaft der Klippen war ausgesprochen erbost, als ich ihr beichten musste, dass ich die Aufrüstung nicht durchsetzen konnte! Falls der Thronrat von den Rittern verlangen sollte, gewisse Gelder zurückzugeben, die ihnen unrechtmäßig zugestanden wurden, wird ein Aufschrei der Empörung durch ihre Reihen
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