Nebelriss
aus den Bergwerken des Hochlandes. Sieben Schmieden und Gießereien säumten den Platz; die größte war die Kaiserliche Bronzewerkstatt, ein steinernes Gebäude mit einem breiten, rußigen Schlot. Selbst heute, am Tag der Ernte, stieg dichter Rauch aus ihm empor, obwohl die Gießer ihre Arbeit ruhen ließen. Stattdessen ehrten sie Tathril mit dem traditionellen Bronzeguss der Heiligen. Wie in jedem Jahr hatten sie vor der Gießerei eine Reihe von Tonfiguren aufgestellt, übertüncht mit weißer Farbe. Es handelte sich um die Statuen bedeutender Heiliger und Hohepriester der Kirche. Auch wenn die Gesichter nur grob und konturenhaft gearbeitet waren, erkannte man doch, wen die Statuen darstellen sollten. In der Mitte stand Durta Slargin, der Bezwinger der Quellen, der Gründer der Tathrilya, ein hagerer Mann mit einem Wanderstock. Neben ihm, weiß und unnahbar, war die heilige Ladeja aufgestellt, die das Martyrium in den Folterkammern der Arphater erlitten hatte. Auch Jenos Agur war zu sehen, der Hohepriester, den die Bathaquar-Sekte beim Berg Arnos getötet hatte, ein bärtiger Mann mit ernsten Gesichtszügen. Unwillkürlich musste Nhordukael an den Thiuron denken, den er am Rand des Vulkansees gesehen hatte - das steinerne Ungetüm, in dem die Seele des Jenos Agur gefangen war.
DAS BLEICHE KIND IST VOLLER ZWEIFEL …
Nhordukael wusste längst nicht mehr, wie oft er Magro Fargh in den vergangenen Wochen zur Quelle begleitet hatte. Der Hohepriester ließ sich inzwischen täglich von den Tempeldienern nach Arnos bringen, verbrachte oft ganze Nächte in der Nähe der Quelle. Immer wieder schickte er nach Nhordukael und beschwor ihn, an seinen Ritualen teilzunehmen, die der junge Priester weder verstand noch verstehen wollte. Oft träumte Nhordukael von den düsteren Stunden im Schlund des Vulkans. Er sah das unheilvolle Flackern der Lavaströme, er hörte das Raunen der Thiurone, er sah Magro Farghs Gestalt auf dem Boden knien, unverständliche Worte vor sich hinflüstern, das Gesicht qualvoll verzerrt. Nhordukael konnte sich nicht erklären, woher der Greis die Kraft für die Beschwörung der Quelle nahm. Sein Zustand hatte sich stark verschlechtert, und die fortwährende Anstrengung schwächte ihn mehr und mehr. Magro Fargh schien dies selbst kaum zu merken. Seine Gedanken waren allein auf ein Ziel gerichtet auf das Gelingen seines Rituals.
Unter dem Jubel der Menge schleiften die Gießer eine weitere Statue auf den Platz. Nhordukael beobachtete, wie sie die Tonfigur - kleiner und schmaler als die anderen unter die anderen Statuen einreihten. Magro Fargh! Die Statue stellte den Hohepriester dar, so wie ihn die Menge in Erinnerung hatte; ein würdevoller alter Mann, langes Haar, ein gütiges Gesicht, das Kinn voller Entschlusskraft nach vorn gereckt, der Körper aufrecht und von innerer Kraft erfüllt. Je länger Nhordukael die weiße Statue anstarrte, desto mehr schienen sich ihre Gesichtszüge zu verfestigen. Beklommenheit stieg in ihm auf. So, genau so hatte er Magro Fargh aus seinen Kindertagen in Erinnerung.
›
Auf die Knie mit dir … Beine werde ich dir machen …‹
»Tathril!«, schrie die Menge auf, und wieder schwenkten die Menschen ihre blumengeschmückten Opferkörbe über den Häuptern, verdeckten die Sicht auf das Abbild des Hohepriesters.
›Demut sollst du üben, Staub sollst du fressen und Tathril danken, deinem Herrn … beten sollst du, Nichtsnutz, beten und dein Haupt zu Boden senken …‹
Nhordukaels blickte auf seine Hände. Er sah die Narben, die sich über die Handrücken zogen. Ihm schien es, als schnitten sich erneut harte, fasrige Fesseln in seine Finger.
›Sieh seine Herrlichkeit, sieh Tathrils Größe … wie kannst du es wagen, ihm zu trotzen, ihm, Tathril, deinem Herrn …‹
Seit Wochen quälte ihn die Angst, dass Magro Farghs Ritual tatsächlich gelingen könnte; dass der Hohepriester, obwohl er damit gegen die heiligen Gesetze der Tathrilya verstieß, die Kraft der Quelle in seinen Körper binden könnte. Nhordukael sehnte den Tod des Greises seit Jahren schon herbei. Allein das Wissen um das allmähliche Dahinsiechen Magro Farghs hatte den Stumpfsinn seines Lebens erträglich werden lassen. Wie oft hatte Nhordukael sich die Todesstunde des Priesters ausgemalt; hatte in Gedanken den keuchenden Atem des Sterbenden schneller und schneller werden hören, hatte das qualvolle Aufbäumen des abgemagerten Körpers beobachtet. In seiner Phantasie hatte er schweigend an Magro
Weitere Kostenlose Bücher