Nebelriss
Menschen gefunden habe, dem ich vertrauen kann, den ich lieben kann - dich, Ceyla! -, ist ohnehin erstaunlich.« Sein Blick verdüsterte sich. »Da unten feiern sie und ahnen nicht, dass sie sich heute zum letzten Mal auf meine Kosten den Wanst voll schlagen! Ich freue mich auf ihre Gesichter, wenn ich ihnen meinen Entschluss verkünde.« »Welchen Entschluss?«, fragte Ceyla verwirrt.
Er strich ihr über das Haar. »Mache dir keine Sorgen, Ceyla. Genieße das Fest! Bald wirst du meine Worte besser verstehen.« Er wandte sich von ihr ab. Unten erklangen Jubelschreie, und vergnügt lehnte sich der Kaiser über die Empore. Einem plötzlichen Entschluss folgend, verbeugte er sich vor Ceyla und eilte dann zu der Wendeltreppe, die von der Empore in den Saal herabführte. Garalac, sein rothaariger Leibwächter, der hinter dem Vorhang der Empore gestanden hatte, hastete ihm nach.
Kopfschüttelnd beobachtete Ceyla, wie Akendor sich unter die Feiernden mischte. Sogleich wurde ihm ein Weinglas gereicht, und einige hübsche Gräfinnen hefteten sich an seine Fersen. Akendor wirbelte mit ausgebreiteten Armen durch die Menge, sein roter Mantel flog umher wie das Gewand eines Zauberers, und er lachte und schwenkte das Weinglas wie in alten Zeiten. Ceyla presste die Faust vor den Mund, um ein Lächeln zu verbergen.
»Akendor«, flüsterte sie vor sich hin. »Akendor Thayrin!«
Sie schreckte zusammen, als sie eine Berührung an der Hüfte spürte. Vor ihr stand ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid, ein Mädchen mit kurzem braunem Haar.
Ceyla beugte sich zu dem Kind herab. »Du hast mich aber erschreckt!«, tadelte sie es scherzhaft. »Hast du dich die Treppe hoch geschlichen?«
Die Kleine schüttelte heftig den Kopf. Sie wies auf die Tür an der hinteren Wand der Empore, die auf den Nordgang hinausführte.
Ceyla nahm sie auf den Arm. Das Mädchen war so leicht, so winzig. »Du hast dich also doch angeschlichen! Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man so etwas nicht tut?«
Das Mädchen überhörte die Frage. Stattdessen griff es mit seinen winzigen Fingern in Ceylas Haar und betrachtete neugierig die braunen Locken. »Du hast sehr schöne Haare«, stellte es mit ernstem Gesichtsausdruck fest. »Du bist eine schöne Frau, fast so schön wie meine Mutter.«
Ceyla lachte hell auf. Dann blickte sie erneut zur Tür. Eine Frau war eingetreten, ebenso lautlos wie zuvor das Kind. Sie war groß und schlank, trug ein blaues Kleid, und ihre dunkelblonden Haare lagen offen um ihre Schultern. Ceyla erschrak vor der Strenge ihrer Augen und den groben, harten Gesichtszügen, die auf den ersten Blick sehr hässlich wirkten. Doch als die Frau ihr ein Lächeln schenkte, schien ihr Gesicht weicher und freundlicher zu werden.
»Ihr müsst meiner vorlauten Tochter vergeben«, bat sie. »Ich habe ihr so oft gesagt, dass man sich nicht an fremde Leute heranschleicht. Aber so sind Kinder - was man ihnen auch sagt, sie hören nur mit halbem Ohr hin.«
Ceyla nickte zögernd. Sie verstand wenig von Kindern; sie selbst hatte keine jüngeren Geschwister, und in Thakstel waren selten Kinder zu sehen. Vorsichtig setzte sie das Mädchen auf dem Boden ab. Die Frau lächelte noch immer. »Da Ihr meine Tochter Suena bereits kennen gelernt habt, ist es nur gerecht, wenn Ihr auch meinen Namen erfahrt. Ich bin Tundia Thim, die Gemahlin des Barons Bliskor von Condul.« Ceyla deutete einen Knicks an. »Es ist mir eine Ehre, Baronin«, sagte sie. »Mein Name ist …« »Oh, ich weiß«, unterbrach die Fremde sie. »Ceyla Illiandrin. Die Geliebte des Kaisers.«
Ceyla spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie senkte den Blick.
»Sie ist wunderschön, nicht wahr, Mama?«, hörte sie das Mädchen mit bewundernder Stimme sagen. »Ja, Suena, das ist sie«, erwiderte die Frau langsam. »Und so jung … jünger noch als die andere!« Sie ließ sich kopfschüttelnd auf einen gepolsterten Stuhl nieder, der an der Wand der Empore stand. »Habt Ihr meinen Namen noch nie gehört?«
Ceyla schüttelte den Kopf. »Nein, verzeiht mir, Baronin. Ich weiß freilich, dass Euer Gemahl ein edler und großherziger Mann ist, der Bruder des Herrschers von Palgura, Fürst Vildor aus der Familie der Thim.« »Bevor ich Bliskor Thim heiratete, war mein Name Tundia Suant«, stieß die Frau hervor. »Ich bin die Schwester des Fürsten Scorutar. Ihr müsst von mir gehört haben!«
Ceyla fasste sich nervös in den Nacken. Ihre Finger umspielten eine der Locken.
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