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Nebelschleier

Titel: Nebelschleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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dunkel und kalt – wer geht denn da spazieren?«, war ihre Antwort, als Georg sie zu seinem kleinen Abendspaziergang mitnehmen wollte. Er sah aber auch nicht ein, dass er mit ihr wieder den Abend vor dem Fernseher verbringen sollte. Vielleicht würde sie ja morgen mit in die Stadt kommen, wenn er mit Marga die versprochene Tour nach Coburg machte.
    Georg Angermüller ging in Richtung Schlosspark, der verlassen in der Dämmerung lag. Er schritt zügig aus, sog tief die frische Luft ein und hoffte, auf diese Weise vielleicht die Köstlichkeiten, die er in Paolas Restaurant genossen hatte, ein wenig abzuarbeiten. Schließlich erwartete ihn bei Rosi und Johannes auch wieder ein kräftiger Abendimbiss.

     
    Ach ja, Paola… Was wäre gewesen, wenn sie damals mit ihm das Dorf verlassen hätte? Vielleicht wäre er nie nach Lübeck gekommen. Dann wäre er auch Astrid nie begegnet … Ob er wohl dann mit Paola heute noch zusammen wäre? Müßige Fragen – der alte Steinlein hatte über seine Töchter verfügt, als wären sie seine Leibeigenen, und an ein Weggehen aus Niederengbach war nicht zu denken. Aber wer weiß, selbst wenn ihr Vater sie damals hätte gehen lassen, ob Paola es gekonnt hätte? Sie war ja bis heute bei ihm geblieben. Dass ihre Mutter kurz nach Paolas Geburt auf Nimmerwiedersehen verschwunden war, hatte wahrscheinlich ein besonderes Band zwischen ihr und ihrem Vater wachsen lassen. Paola wollte keinesfalls so handeln wie diese Frau. Sie hasste ihre Mutter, ohne sie je kennengelernt zu haben. Paola war hübsch, sie war klug und konnte immer schon gut mit Menschen umgehen, doch Georg kannte sie als einen ständig von Selbstzweifeln geplagten Menschen. Sie sei sich als Kind immer wie ein unerwünschtes Wesen vorgekommen, das keiner wirklich haben wollte, gestand sie Georg einmal. Deshalb hatte sie auch immer härter gearbeitet als alle anderen, wollte immer die Beste sein und wenigstens um ihrer Leistungen willen geliebt werden. Ihr Vater hatte sehr genau gewusst, wie er ihren Minderwertigkeitskomplex für sich ausnutzen konnte. Wenigstens hatte sich ihre Mühe gelohnt. Georg freute sich zu sehen, dass sie so einen Erfolg mit dem Hotel und dem Restaurant hatte und dass ihre Arbeit sie auszufüllen schien.
    Rosis Mutter war die dritte Frau, die Steinlein geheiratet hatte. Georg konnte sich noch an sie erinnern. Sie war eine stille, sanftmütige Person, liebte die Musik und war halb so alt wie ihr Mann, und alle im Dorf rätselten, wie sie es mit so einem tyrannischen Patriarchen aushalten konnte. Rosi aber meinte, ihr Vater habe ihre Mutter wirklich geliebt und er sei im Umgang mit ihr sehr viel weicher und umgänglicher gewesen. Doch sie starb an Krebs, als Rosi zwölf war, und danach gab es niemanden mehr, der die sanfte Seite in ihrem Vater erkennen wollte. Der Steinleins Bernhard war ein Mann wie ein Felsbrocken, nichts und niemand konnte ihn rühren, ein Machtmensch, dem man im besten Falle Respekt entgegenbrachte, aber keine Sympathie. Und wehe dem, der ihn zum Gegner hatte …
    Rosi glich nicht nur im Aussehen ihrer Mutter sehr. Sie hatte sich auf ihre stille Art immer um die Zuneigung des Vaters bemüht – bis sie Johannes kennenlernte. Doch selbst dann, als der Alte Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um diese Verbindung zu verhindern, selbst da glaubte sie noch, er hätte irgendwann ein Einsehen und würde ihre Entscheidung akzeptieren. Und nach dem, was Johannes erzählt hatte, hoffte sie auch später immer wieder, er wäre irgendwann zur Versöhnung bereit. Es war schon verrückt, wie der alte Steinlein seine Töchter – zumindest Paola und Rosi – ein Leben lang in seinen Bann gezogen hatte. Und nun, da man meinen konnte, sie seien womöglich froh, ihn los zu sein, war ihnen nichts wichtiger, als zu erfahren, wer ihn umgebracht hatte. Warum war das so wichtig? Wollten sie Rache, wollten sie den Täter bestraft sehen? Oder hatten sie einen Verdacht, auch wenn beide das verneinten? Und wenn ja, hatten sie beide denselben?
    Was war mit seinem Freund Johannes, der nach all den Jahren seinen verhassten Schwiegervater aufsuchte? Stimmte die Geschichte mit dem beabsichtigten Verkauf an den Gentechnikkonzern? Wollte er dem Alten ins Gewissen reden? Hatte er ihm gedroht?
    Die Grübeleien über Paola, ihre Schwester und seinen Freund Johannes hatten Angermüllers Schritt verlangsamt. Er war am Schwanensee angelangt. Nebelschleier standen über dem Wasser und der zunehmende Mond schuf ein unwirkliches

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