Nebelschleier
Zwielicht. Auf der anderen Seite des Gewässers, da wo eine der alten Steinbänke stand, machte er eine Bewegung aus, und als er genauer hinsah erkannte er zwei Personen, die dort saßen. Jetzt stand eine von beiden auf und gestikulierte mit den Armen. Eine angeregte Diskussion schien im Gange zu sein. Zu hören war nichts davon, dazu war das andere Ufer zu weit entfernt. Angermüller setzte seinen Weg fort. Auch die zweite Person hatte sich jetzt erhoben, sie war um einiges kleiner als die erste. Die lange, schmale Gestalt kam Angermüller irgendwie bekannt vor. War das sein Freund Johannes? Wenn ja, was machte der hier? Wer war die andere Person? Die größere von beiden packte die andere an den Armen, als ob sie sie schütteln wollte. Musste man helfen, eingreifen? Angermüller merkte, wie die übliche Ermittlungsroutine von ihm Besitz ergriff, und das gefiel ihm gar nicht – er war nicht im Dienst, und er hatte Rosi und Paola von vornherein gesagt, dass er hier nicht professionell ermitteln könnte. Trotzdem konnte er die Augen nicht von der Szene am anderen Ufer lassen. Das Dämmerlicht machte ein genaues Erkennen der Leute am anderen Seeufer unmöglich, und Angermüller sagte sich, dass es ja auch nicht weiter wichtig war. Jetzt trennten sich die beiden da drüben und jeder ging seiner Wege. Trotz seiner Jacke begann Angermüller zu frösteln, und der Gedanke an die gemütliche Küche auf dem Sturms-Hof ließ ihn wieder schneller gehen. Als er am Kavaliershaus angelangt war, ging er zurück in Richtung Dorf. Es war still im Park. Noch ein kurzes Stück, und der Spazierweg bog auf die Straße ein, da hörte er schnelle, leise Schritte.
»Hallo Georg, machst du auch deinen Abendlauf?«
In Sporthose und T-Shirt kam Paola aus der Dämmerung auf ihn zugelaufen, blieb vor ihm stehen und hüpfte leichtfüßig auf und ab, was ihre zusammengebundenen Locken zum Wippen brachte.
»Hallo Paola! Ich glaube, man kann es eher Abendspaziergang nennen. Läufst du regelmäßig?«
»Ich versuch’s. Dreimal die Woche, das ist optimal.«
»Ich bin beeindruckt! So viel Selbstdisziplin!«
»Oft schaff ich’s leider gar nicht. Aber ich brauche das, es tut mir unheimlich gut – gerade an einem Tag wie heute.«
»Das glaub ich dir gern.«
Angermüller sah sie mitfühlend an.
»Jetzt muss ich mich beeilen, wenn ich meine Runde schaffen will, meine Gäste warten. Gewöhnlich gehe ich nach dem Abendessen im Restaurant herum und plaudere ein wenig mit ihnen. Für manche ist das sehr wichtig«, Paola lächelte. »Alsdann – Ciao Giorgio!«
»Buona Serata, Paola!«
Eine warme Wolke, nach Speck und Zwiebeln duftend, hüllte Angermüller ein, als er die Küche betrat. Rosi war dabei, eine Kugel Hefeteig kräftig durchzuwalken. Sie tat es mit vollem Einsatz, ihre Wangen waren gerötet und die Ärmel ihrer Bluse hatte sie hochgerollt. Ein junger Mann stand vor der Spüle und wusch Salat.
»Guten Abend!«
»Hallo, Schorsch! Tut mir leid, dass du wegen mir Ärger mit dem Coburger Polizisten hattest!«
»Du konntest doch gar nichts dafür, Rosi! Der Kollege ist halt einer von der unangenehmen Sorte. Du hättest mal seine Reaktion sehen sollen, als ich ihm später bei Paola schon wieder über den Weg gelaufen bin.«
Georg hörte sich an, als sei das Ganze ein großer Spaß gewesen.
»Du warst bei Paola?«, fragte Rosi. Sie schien überrascht zu sein.
»Sie wollte mich sehen. Es geht ihr nicht gut«, Georg zögerte und warf einen Seitenblick auf den Praktikanten an der Spüle, »Letztlich wollte sie das Gleiche wie du.«
»Ah ja?«
Rosi schüttelte verwundert den Kopf und wechselte dann das Thema.
»Wir sind spät dran heute – es dauert noch ein bisschen mit dem Essen!«
»Das macht gar nix! Kann ich was tun?«
»Wenn du so fragst: Du könntest die Salatsoße machen. Johannes ist auch noch gar nicht zu Hause. Er weiß doch, dass du kommst! Keine Ahnung, wo der wieder steckt.«
Das klang verärgert. Mit heftigen, kurzen Bewegungen drückte Rosi den Hefeteig auf drei eingefettete Herdbleche, als ob ihn eine Schuld an Johannes’ Ausbleiben träfe.
»Ist doch kein Problem! Ich besuch ja nicht nur den Johannes!«
Rosi lächelte schwach und hielt inne.
»Ich weiß, Schorsch! Und ich freu mich sehr, dass du hier bist. Gerade heute.«
Angermüller bemerkte, dass Rosi schon wieder mit ihren Gefühlen zu kämpfen hatte, und lenkte schnell zurück zum Praktischen.
»Du hast gesagt, Salatsoße. Wo sind die
Weitere Kostenlose Bücher