Nebelschleier
nach ihr und wollte nur noch sie als Betreuerin haben. Stell dir vor: Sie sollte bei ihm einziehen! Sie hat ihm völlig den Kopf verdreht!«
»War sie denn dazu bereit?«
»Aber natürlich! Er hat Irina mit Sicherheit neben dem großzügigen Gehalt, das ich ihr ohnehin schon zahlen musste, noch das Blaue vom Himmel dazu versprochen, alles, was sie nur haben wollte. Für Geld kannst du doch alles bekommen, und eine wie die weiß die Situation auch gründlich auszunutzen.«
»Hat sie denn einen Freund?«
»Zumindest ist sie öfter von einem Typen in so einem auffälligen Wagen abgeholt worden. Genaueres weiß ich nicht.«
»Mmh«, Angermüller nickte. »Dann frag ich dich jetzt auch noch mal wie die Coburger Kollegen: Hast du denn irgendeine Vermutung, wer dahinterstecken könnte?«
Paola sah ihn nur ratlos an und schüttelte den Kopf, und er spürte wieder die große Anspannung, die sie hinter ihrer gefassten Haltung verbarg. Er strich beruhigend über ihre Hände, die sie unablässig auf dem Tisch knetete.
»Ich lass dich jetzt auch in Ruhe mit diesem unangenehmen Thema.«
»Ich find’s ja gut, dass du dich kümmerst, Georg! Schließlich hab ich dich darum gebeten.«
Eine Kellnerin, ebenfalls in der hauseigenen Tracht mit langer Schürze darüber, trat an ihren Tisch.
»Darf ich?«
Die verschiedenen Tellerchen, die sie vor ihnen abstellte, zeigten einen kleinen Ausschnitt aus der Küche von Steinleins Landgasthof, und obwohl Georg nicht gerade hungrig war, verspürte er beim Anblick der verführerisch angerichteten Speisen sofort die Lust, sie zu probieren: Da lockte geräucherter Wels auf Brunnenkresse, ein kleiner, goldbraun angeschmorter Krautwickel dampfte neben einer Halbkugel aus gelbem Kartoffelbrei, eine Portion Grünkernrisotto mit Steinpilzen duftete verführerisch und ein Chutney vom Gartenkürbis begleitete die gebratene Blutwurst. Langsam und genießerisch kostete Angermüller ein Gericht nach dem anderen, war des Lobes voll und konnte nicht umhin, fast alles aufzuessen. Paola nahm von allem ein wenig und schob dann ihre Teller beiseite.
»Und, wie bewertest du als echter Gourmet unsere Küche?«
»Es war einfach köstlich! Der kann was, dein Max!«
Ein Lächeln erhellte Paolas erschöpfte Züge.
»Das freut mich, Georg! Ja, ich muss dann mal wieder, aber du kannst gern noch bleiben und ich lasse dir einen Teller mit unseren berühmten Desserts bringen!«
»Danke, Paola! Es war wunderbar, und ich bin auch neugierig auf eure Nachspeisen, aber ich bin gut gesättigt und heute Abend schon wieder zum Essen eingeladen. Ich fürchte, ich habe fünf Kilo zugenommen, wenn ich aus Niederengbach abfahre! Meine Mutter hat sich ja durchgerungen, ihren Geburtstag in euerm Restaurant zu feiern am Sonntag. Spätestens bei der Gelegenheit werde ich eure Küche noch genauer kennenlernen.«
Sie erhoben sich beide und gingen langsam zum Ausgang.
»Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder, du bist allzeit willkommen. Und wenn du etwas rausgefunden hast, gib mir sofort Bescheid!«, Paola sah ihm ins Gesicht. »Es ist schön, dich wiedergefunden zu haben, Georg.«
Dann umarmte sie ihn und küsste ihn zart auf die Wange.
»Wo bist du denn heute Abend zum Essen?«
»Rosi und Johannes haben mich eingeladen.«
»Ah ja.«
»Ja, dann will ich dich nicht länger von deinen Pflichten abhalten.«
»Das sind jetzt erst mal traurige Pflichten. Man muss sich ja um die Beerdigung und alles, was damit zusammenhängt, kümmern. Die Polizei meinte, Montag wird Papa, wird er … wird die … Jedenfalls kann frühestens Dienstag die Beerdigung sein und da ist vorher noch eine Menge zu tun.«
»Ja dann. Mach’s gut, Paola! Ciao!«
»Ciao, Giorgio! Wir sehen uns, ja?«
Als Georg vor die Tür von Steinleins Landgasthof trat, dämmerte es bereits und im Schatten war es kühl. Auf der Treppe, die in den Hof führte, kamen ihm die englischen Touristen entgegen, denen er den Weg zur Rosenau gezeigt hatte.
»Oh, hello Sir!«, freute sich der alte Herr und wandte sich an seine Frau. »Look, dear, our guide!«
»Have you seen the castle?«, fragte Angermüller aus höflichem Interesse.
»Oh yes! It is very beautiful. We really enjoyed it!«
»That’s good. I wish you a nice evening!«
»We are going to have a little glass of Port now. Would you perhaps like to join us?«
»Thank you – I have no time! Good bye!«, verabschiedete er sich etwas abrupt. Angermüller fand die beiden ja recht sympathisch, doch es gab so
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