Nebelschleier
probieren. Es schmeckte wirklich wunderbar frisch und der Ingwer gab dem Ganzen eine fruchtige Schärfe. Georg nickte anerkennend.
»Sehr gelungen!«
»Das muss jetzt noch ein bisschen durchziehen, dann schmeckt es noch besser.«
Bea holte eine große Schüssel aus der Speisekammer, die sich in einer Ecke der Küche befand.
»Schau, das ist mein mauritischer Salat! Probier den doch auch mal!«
Angermüller nahm sich einen Löffel von dem hübschen, pinkfarbenen Gemisch, das mit einer milden Vinaigrette angemacht war und hauptsächlich aus Kartoffeln, Roten Beten, Möhren, Eiern und Zwiebeln bestand. Dieses im Grunde sehr einfache Gericht überzeugte ebenfalls durch einen ausgewogenen Geschmack.
»Schmeckt toll! Hätte ich nie gedacht, dass das ein Rezept von einer Insel im Indischen Ozean ist!«
»Ja, Kartoffeln und Rote Bete werden nicht nur bei uns gegessen!«
»Na, das wird ja heute Abend ein buntes Buffet – ich freu mich drauf!«
Eigentlich sollte er jetzt gehen, dachte Angermüller, doch da waren noch die Dinge, nach denen er Bea fragen wollte.
»Sag mal, worüber wir heute Morgen gesprochen haben …?«
Erstaunt sah Bea ihn an.
»Was meinst du?«
»Na ja, du hattest heute Morgen ja keine Zeit mehr: der Tod deiner Mutter und was dein Vater damit zu tun hat«, sagte Angermüller geradeheraus.
»Eigentlich wollte ich daran überhaupt nicht mehr denken heute«, seufzte sie. »Warum interessiert dich das überhaupt?«
»Du selbst hast es mir gegenüber immer wieder erwähnt und Paola hat …«
»Ach, daher weht der Wind? Hat meine Schwester dir erzählt, dass ich allen Grund hatte, ihren geliebten Vater in die Grube zu stoßen?«
»Aber natürlich nicht! So hat sie das nie gesagt!«
»Natürlich nicht! Dazu ist sie viel zu geschickt!«
»Entschuldige Bea, ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
Es war Angermüller nun doch unangenehm, Bea mit seinen Fragen so aufzubringen.
»Das bist du schon, Schorsch. Hat Paola dich als Bullen beauftragt, herauszufinden, ob ich es war?«
Da Beas Frage der Wahrheit zumindest in Teilen erstaunlich nahe kam, setzte Angermüller zu einer umständlichen Erklärung an. Aber Bea achtete gar nicht auf ihn. Sie setzte sich wieder neben ihn an den Tisch.
»Hör mir jetzt gut zu, Schorsch: Meine Mutter soll eine lebenslustige Frau gewesen sein. Bis zu meiner Geburt. Danach war sie ein total anderer Mensch. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, sie litt an einer schweren Wochenbettdepression, aus der sie nie wieder herauskam. Kannst du dir vorstellen, wie sensibel mein Vater mit so einer Situation umging?«, fragte Bea, aber sie erwartete keine Antwort. »Natürlich war meine Mutter schwierig, hätte dringend psychiatrischer Hilfe bedurft. Aber der Steinleins Bernhard hatte doch keine Irre als Frau! Also hielt er sie von der Öffentlichkeit fern, ließ mich fast nur von seiner Mutter betreuen, weil er sein Kind nicht einer Verrückten überlassen wollte, und hatte ständig irgendwelche Frauengeschichten. Ich weiß das alles von meiner Tante, der Schwester meiner Mutter, denn ich konnte das natürlich damals noch nicht verstehen. Nur dass ich meine Mutter ganz selten sehen durfte und sie eigentlich immer vermisst habe, weiß ich noch wie heute.«
Sie hielt inne. In Beas Augen sah Angermüller Tränen glitzern. Das Erzählen schien sie sehr mitzunehmen, und jetzt tat es ihm leid, dass er so nachgebohrt hatte. Bea richtete sich auf und atmete tief durch.
»Und dann habe ich sie gefunden. Früher gab es im Gasthof oben einen großen Trockenboden. Da hing sie, ganz hinten in einer Ecke. Natürlich konnte ich als Dreijährige auch das nicht begreifen – zum Glück! Aber das Bild hatte sich in mein Unterbewusstsein eingebrannt, und als ich dann alt genug war zu verstehen, hat mir meine Tante, die mich, nachdem es passiert war, zu sich genommen hatte, die ganze Geschichte erzählt. Was auch bitter nötig war, denn du weißt, wie das im Dorf ist, wenn du von allen Seiten immer nur finstere Andeutungen und Gerüchte hörst. Ich dachte schon, meine Mutter hätte wer weiß was angestellt, und hab angefangen, mich ihrer zu schämen!«
Bea verschränkte die Arme vor der Brust und sah Angermüller ins Gesicht.
»Du kannst dir vielleicht vorstellen, welche Überwindung es mich kostete, nach 20 Jahren an Versöhnung mit meinem Vater zu denken. Jahrelang habe ich meine negativen Gefühle niedergekämpft und nur positive Energien an mich herangelassen und kam hierher mit den besten
Weitere Kostenlose Bücher