Nebelschleier
einmal zu Bea. Er richtete sich auf und hatte tatsächlich schon wieder das dumme Gefühl, dass die Pflicht nach ihm rief. Einen letzten Blick noch auf das Rondell, in dessen Mitte ein weiterer der Coburger Herzöge auf einem Denkmal stand, dann lenkte Angermüller seine Schritte in Richtung Festungsstraße und folgte ihr ein ganzes Stück den Berg hinauf.
Ein wenig aus der Puste stand er kurz darauf vor einem weitläufigen Grundstück, wo sich unter alten Bäumen eine geräumige Villa mit Veranda, Erkern und einem kleinen Turm mit Zinnen erstreckte, gebaut wahrscheinlich um die Jahrhundertwende im damals so beliebten neugotischen Stil. Er ging durch das offen stehende Tor, bewunderte den gepflegten Garten und klingelte am Fuß des Turmes, wo neben der Tür ein Schild angebracht war ›Weg zur Mitte – Zentrum für Meditation & Körperarbeit – Bea Steinlein 1. OG‹. Sogleich ertönte der Summer und er nahm die Wendeltreppe nach oben. Ein angenehmer Duft von fremdländischen Gewürzen stieg ihm in die Nase, und er merkte, dass sich sein Appetit regte. Zwei Bratwürste und ein Stück Apfeltorte hielten eben doch nicht so lange vor. Nach ein paar Stufen hörte er, wie sich eine Tür öffnete und Leute sich verabschiedeten. Als er um die Ecke bog, wusste er auch, woher er ihre Stimmen kannte.
»Grüß Gott!«, sagte er freundlich.
»Das glaub ich fei jetzt net! Du schon wieder, Angermüller! Was hast du hier bitteschön verloren?«
»Eigentlich geht dich das gar nichts an, Bohnsack. Aber weil du’s bist: Ich besuche eine Freundin. Fertig.«
»So, eine Freundin! Findest du das nicht selbst merkwürdig, dass du immer dort auftauchst, wo wir gerade sind?«
»Hast du ein Problem, Bohnsack? Glaubst du vielleicht, ich will dir deinen Fall wegschnappen, oder was? Ich bin hier im Urlaub!«
Bohnsacks kleine Augen fixierten ihn feindselig. Seine feisten Backen hatten sich merklich gerötet, er schnaufte kurzatmig, aber sein Ton war erstaunlich ruhig, als er drohend sagte: »Ich kann auch Leute festnehmen lassen, die die Ermittlungen der Polizei behindern, Angermüller. In diesem Sinne: Angenehmen Urlaub noch!«, damit schob er sich energisch an Angermüller vorbei und polterte die Treppe hinunter. »Kommst du, Sabine?«, rief er von unten.
Angermüller schüttelte den Kopf und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Sabine Zapf grinste nur und zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht können Sie dem Herrn Bohnsack ja gelegentlich erklären, dass es Menschen gibt, die Freunde haben, Frau Kollegin!«, meinte Angermüller zu ihr und er klang ziemlich genervt. »Und dass es nicht so erstaunlich ist, wenn man in der Metropole Niederengbach die meisten Leute kennt.«
Die Kommissarin lachte.
»Ich werd’s versuchen. Wiedersehen!«
Bea, die in ihrer geöffneten Wohnungstür stand und den Wortwechsel mitbekommen hatte, sah Georg fragend an.
»Was war das denn? Aber komm doch erst mal rein, Schorsch! Schön, dass du mich besuchst!«
»Grüß dich, Bea. Ein unangenehmer Typ ist das!«
Obwohl er sich vorgenommen hatte, es nicht zu tun, ärgerte sich Angermüller über den Coburger Kollegen.
»Der Bohnsack war im Gymnasium zwei Klassen über mir und der war schon damals nicht mein Freund. Da wir uns jetzt zufällig mal bei Rosi und bei Paola über den Weg gelaufen sind, denkt der, ich misch mich in seine Ermittlungen, der Depp!«
Dass sie sich am Morgen schon in der Coburger Kriminalpolizeiinspektion begegnet waren, ließ er unerwähnt.
»Das hört sich doch stark nach Minderwertigkeitskomplex an!«, meinte Bea amüsiert, während sie sich eine Strähne ihrer hennaroten Haare feststeckte, die sich aus dem Knoten, den sie heute trug, gelöst hatte.
»Was wollten die Kollegen eigentlich bei dir?«
Bea verzog das Gesicht und hob abwehrend die Hand.
»Bitte Schorsch, nicht dieses Thema jetzt! Mir langt’s damit für heute.«
»O. K., verstehe«, sagte Angermüller nur und hakte nicht nach, bestimmt würde sich noch die Gelegenheit ergeben.
Bea führte ihn durch den Flur, von dem fünf Türen abgingen, die zum Teil offen standen und den Blick in hohe, lichte Räume freigaben. In der Küche, die ziemlich groß und ebenfalls schön hell war, ließ Bea ihn an dem großen Tisch vor dem Fenster Platz nehmen. Der Fußboden war ausgelegt mit schwarz-weißen Fliesen, auf denen vor Herd und Spüle die Köchinnen und Köche früherer Jahrzehnte ihre Spuren hinterlassen hatten, denn sie waren dort deutlich abgetreten. Der
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