Nebelschleier
Vorsätzen und riesigen Erwartungen.« Sie machte eine Pause. »Aber er hat mich einfach hinausgeworfen, nach 20 Jahren! Er fand es unverzeihlich, dass ich damals so einfach fortgegangen bin«, sie schüttelte den Kopf. »Er selbst war sich überhaupt keiner Schuld bewusst.«
Georg wollte etwas dazu sagen, doch Bea war noch nicht fertig.
»All meine Spiritualität hat mir da nichts genutzt. In dem Augenblick habe ich ihn gehasst. Da Hass aber am meisten dem schadet, der ihn empfindet, hatte ich beschlossen, meinen Vater aus meinem Leben zu tilgen, nie mehr über ihn zu reden, einfach nicht mehr an ihn zu denken. Das ist mir natürlich nicht immer gelungen. Erst jetzt, da er wirklich tot ist, werde ich wohl meine Ruhe haben.« Bea sah Georg provozierend an. »Ein hervorragendes Motiv, nicht wahr, Herr Kommissar?«
»Ich weiß nicht, ob du einen Menschen umbringen könntest, Bea.«
»Ich weiß es auch nicht. Ich habe es noch nie versucht. Ich weiß nur, dass erst endgültig Ruhe einkehren wird in mir, wenn der Alte unter der Erde ist.« Bea stand auf. »So, jetzt weißt du alles. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Bitte entschuldige, dass ich mit meiner Fragerei alles wieder aufgerührt habe. Es tut mir leid!«
»Ist schon O. K., ich hatte ja gesagt, ich würde dir die Geschichte erzählen.« Sie klopfte Georg begütigend auf die Schulter. »Vielleicht hat es mir auch gutgetan, das heute noch einmal alles rauszulassen.«
Auch Georg war aufgestanden. Er hoffte, dass Bea meinte, was sie sagte, und ihm seine Fragerei nicht krummnahm. Er mochte sie und ihr offenes Wesen, und er hätte es sehr bedauert, ihr wehgetan zu haben.
»Dann werde ich mich mal verabschieden. Wir sehen uns ja nachher. Also noch mal, Bea: Nix für ungut!«
»Ja, ja, alles in Ordnung, Schorsch.«
Sie begleitete Angermüller zur Tür. Als er sich umdrehte, um ihr Ade zu sagen, spielte in ihrem Gesicht ein leicht spöttisches Lächeln.
»Übrigens: Die Polizei hat mich natürlich gefragt, wo ich gestern früh kurz nach sieben gewesen bin, und meine Hauswirtin konnte bestätigen, dass wir da zusammen gefrühstückt haben. Du kannst also Paola sagen, dass ich sogar ein Alibi habe.«
»Mensch Bea, das ist mir furchtbar unangenehm jetzt. Bitte, glaub mir: Das war nicht der Grund meines Besuches.«
»Aber irgendwie spielst du doch den Detektiv, oder?«
Bea konnte man so leicht nichts vormachen und nach einigem Zögern sagte er:
»Ganz Niederengbach denkt, dass ich als Kommissar im Urlaub mit links einen Fall klären kann.«
»Allen voran natürlich Paola, nehme ich an.«
»Die Rosi auch«, beeilte sich Angermüller zu sagen. »Und irgendwie interessiert’s mich ja auch. Berufskrankheit wahrscheinlich.«
»Du kannst dir ja denken, dass mir das alles ziemlich egal ist. Für mich brauchst du überhaupt nichts herauszufinden. Und versprich mir: heute Abend darüber kein Wort mehr!«
Angermüller nickte erleichtert und gab Bea die Hand zum Abschied. Dabei fiel ihm ein, dass er jetzt zu Irina hatte fahren wollen, es aber nicht mehr geschafft hatte, Paola nach der Adresse zu fragen.
»Entschuldige, wenn ich doch noch mal davon anfange: Du weißt wahrscheinlich auch nicht, wo eine gewisse Irina wohnt, diese junge Pflegerin deines Vaters?«
»Du bist unmöglich, Schorsch! Weißt du das?«, Bea schüttelte den Kopf, aber sie schien nicht ernsthaft böse zu sein. »Impertinent, der Herr Kommissar, würde meine Tante sagen. Aber du hast Glück! Eine meiner Kursteilnehmerinnen hat mir brühwarm berichtet, als mein Vater ständig mit diesem jungen Ding gesehen wurde. Das war natürlich der Skandal! Die Frau kommt aus Oeslau und wohnt irgendwo in der Gothaer Straße. Ihr Haus hat eine so auffällig rot gestrichene Tür und das Mädel wohnt gleich bei ihr nebenan. Dir als Profi wird es ja ein Leichtes sein, herauszufinden, wo genau das ist. Jetzt hab ich dir aber mehr geholfen, als ich je wollte, und nun lässt du mich damit wirklich in Ruhe, ja?«
»Ich verspreche es dir.«
Sie sah ihn an und schien einen Moment zu überlegen.
»Wahrscheinlich bist du sogar ein ganz guter Bulle, gell?«, sagte sie dann und schloss die Tür.
9
Im Schritttempo fuhr Angermüller die Straße in Oeslau entlang, die Bea ihm genannt hatte, und spähte nach einer auffälligen roten Tür. Beim ersten Versuch fiel ihm kein derartiges Haus ins Auge, aber nachdem er dann noch einmal gewendet hatte und die Gegenrichtung absuchte, wurde er fündig. Er stellte Margas Wagen ab
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