Nebelschleier
Spülstein und der Vorratsschrank unter dem Fenster waren offensichtlich historisch, und diverse antike Küchenutensilien, die überall an den Wänden und auf Regalbrettern verteilt waren, komplettierten das Bild einer gemütlichen Küche aus Omas Zeiten. Bea, die eine lockere Hose und ein bequemes T-Shirt trug, stopfte sich ein Küchentuch in den Hosenbund.
»Ich muss dich hier in der Küche empfangen, denn ich hab für heut Abend noch einiges vorzubereiten. Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich nebenbei ein bisschen was schnippel.«
Dass hier ausgiebig gekocht wurde, war nicht zu übersehen. Überall standen Schüsseln und Töpfe herum, ein Schneidbrett auf dem Tisch zwischen allerlei Gemüse und auf dem Herd eine Pfanne. Angermüller nahm den Duft, den er schon im Treppenhaus gerochen hatte, jetzt ganz stark wahr.
»Sag mal, was machst du hier Köstliches? Das duftet ja geradezu betörend!«
»Das sind die Gewürze, die ich für mein Spezialcurry gerade angeröstet habe. Riecht toll, gell?«
»Wunderbar! Was ist da alles drin?«
»Interessierst du dich fürs Kochen? Aber stimmt ja! Du hast ja schon damals als Teenager dafür eine Ader gehabt.«
»Und die hat sich stark weiterentwickelt! Kochen ist meine liebste Freizeitbeschäftigung – leider komm ich nur viel zu selten dazu. Also, ich rieche jedenfalls Kumin und Nelken, aber da ist noch mehr drin!«
»Da ist noch Kardamom drin, Pfefferkörner, Koriandersamen, Kokosnuss, Mandeln und es kommt noch viel mehr dazu. Das ist ein Rezept aus Mauritius, wo ich eine Zeit lang gelebt habe.«
»Das würd ich ja gern mal probieren.«
»Kannst du doch! Ich mach das für das Fest heute Abend bei Rosi. Da bist du doch bestimmt auch?!«
»Ich wusste nicht, dass du auch kommst.«
»Mahi feiert seinen Abschied zusammen mit seinem Cousin. Er geht ja auch weg zum Studium, nach Berlin.«
»Ja, natürlich! Dein erwachsener Sohn.«
»Fast erwachsen. Für mich wird er es wohl nie ganz sein«, lächelte Bea. »Leider ist er vorhin Fußball spielen gegangen, aber du lernst ihn ja heute Abend kennen. Hier hast du schon einmal ein Bild.«
Ein Junge mit ebenmäßigen Zügen, schwarzem, glattem Haar, das ihm bis auf die Schulter hing, lachte Angermüller auf dem Foto an. Er sah ein wenig asiatisch aus. An seine Mutter erinnerten höchstens die Mundpartie und die helle Farbe seiner ganz leicht schräg stehenden, mandelförmigen Augen.
»Ein hübscher Kerl! Sieht sympathisch aus.«
»Er ist der tollste Junge überhaupt!«
Bea breitete die Arme aus und lachte.
»Denkt natürlich jede Mutter über ihren Sohn! Aber Mahi ist wirklich ein Sonnenschein. Auch wenn ich mich von Lani getrennt habe, weil’s letztendlich doch nicht mehr passte zwischen uns irgendwann, dieses sonnige Wesen hat er von seinem hawaiianischen Vater.«
»Du hast auf Hawaii gelebt?«
Ein herrlicher Duft nach frischem Ingwer, den Bea in eine Schüssel rieb, stieg Angermüller in die Nase.
»Hawaii ist ja eine ganze Inselgruppe. Genau gesagt war es auf Kauai, der ältesten und wie ich finde der schönsten Insel. Als ich damals weggegangen bin, hatte ich mir von hier aus schon einen Job als Au-pair in den Staaten gesucht und bin bei der Familie eines Regisseurs in Los Angeles gelandet. Und dann haben die ein größeres Filmprojekt auf Kauai gehabt und die ganze Familie ist für ein halbes Jahr dorthin umgezogen und ich mit. Da habe ich Lani kennengelernt. Der arbeitete als so eine Art Coach für die Filmleute, die von außerhalb dort drehen. Und dann war ich ziemlich bald schwanger …«
»Hört sich erst mal toll an, Hawaii, Kauai und dann die spannende, internationale Filmwelt. War das nicht traumhaft?«
»Magst ein Brot?«, fragte Bea zwischendurch, die bemerkt hatte, wie Georg Angermüller immer wieder schnuppernd die Nase hob und interessiert in Töpfe und Schüsseln schielte. Sie hielt ihm einen kleinen, goldbraunen Fladen hin.
»Hab ich selbst gebacken. Ein Rezept, das ich von einer Freundin aus Indien mitgebracht habe. Um auf deine Frage einzugehen, von wegen traumhaft: So doll, wie sich das anhört, war das alles nicht. Ich war weit weg von zu Hause, hatte kein Geld, war schwanger – da ist es erst mal egal, ob du auf einer Trauminsel bist. Aber Lani war glücklich, dass wir ein Kind kriegten, und das war die Hauptsache, und so haben wir es miteinander versucht und eine Zeit lang war es ja auch gut.«
Das kleine Fladenbrot war noch ein bisschen warm und schmeckte leicht süßlich, mit einem
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