Nebelschleier
Vielleicht sollte er doch erst noch einmal mit Paola darüber sprechen, sowohl über den Computer des Alten als auch über seine Beziehung zu Ottmar Fink. Außerdem sah er nach der weiteren unerfreulichen Begegnung mit Bohnsack eigentlich keine Veranlassung mehr, ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen. Und schließlich hatte er das Gefühl, an einem Wendepunkt zu sein und immer mehr Teile des Puzzles um den Mord in der Felsengrotte vor sich zu haben. Vielleicht würde er sie ja auch bald zusammensetzen und mit seinen eigenen, wenn auch begrenzten Mitteln den Fall aufklären können. Georg Angermüller – Private Eye! Er setzte sich eine Frist bis Sonntagabend: Wenn er es bis dahin nicht geschafft hätte, würde er sich mit Sabine Zapf in Verbindung setzen. Er überprüfte noch einmal die Richtigkeit ihrer eingegebenen Handynummer und drückte auf ›speichern‹.
Ein angenehmer Geruch nach Butterschmalz empfing Angermüller, als er nach Hause kam, und er ahnte schon, welche Köstlichkeit hier hergestellt wurde. Er betrat die Küche und sah, wie seine Schwester dabei war, mit schnellen, geschickten Bewegungen elastische Hefeteigbällchen so auseinanderzuziehen, dass außen sich eine dicke Krempe bildete und innen nur ein hauchdünner Kreis vom Teig stehen blieb, der natürlich keinesfalls reißen durfte. Dann ließ sie das runde Teilchen vorsichtig in einen Topf mit siedendem Butterschmalz gleiten, der auf dem Herd stand. Das traditionelle Schmalzgebäck gehörte im Hause Angermüller zu jedem Festtag, ob Kirchweih oder Geburtstag, und Marga war berühmt für die Qualität ihrer ausgezogenen Krapfen.
»Na, war’s schön bei der Bea?«, empfing ihn seine Schwester, ohne den Blick von Backbrett und Schmalztopf zu nehmen.
»Ja, war schön. Interessant vor allem! Die ist ja weit herumgekommen in der Welt, die Bea, und da hat sie natürlich einiges zu erzählen.«
Angermüller trat zum Herd, wo auf einem Blech mit Küchenkrepp schon ein ganzes Heer von den goldbraunen Krapfen mit dem typischen hellen Kreis in der Mitte aufgeschichtet war. Die paar Probierhäppchen bei Bea hatten ihn nicht satt gemacht und er war mittlerweile richtig hungrig.
»Kann ich mal probieren, ob die auch gut geworden sind?«
»Die sind doch erscht für morchn!«, protestierte seine Mutter, die am Tisch saß und mit geübten Händen von einer Rinderzunge die Haut abzog. Aber Marga hatte ihm schon einen Krapfen mit Vanille- und Puderzucker bestreut und auf einen Teller gelegt.
»Wunderbar, Schwesterherz! Ausgezogene backt niemand so gut wie du!«, lobte Angermüller mit noch vollem Mund und leckte sich die Zuckerkristalle von den Lippen. Die Krapfen waren noch warm und schmeckten so wie früher, nach Butter, nach Vanille, nach Hefe, nach Kindheit.
»Was gibt’s denn sonst noch morgen, wenn die Leute zum Gratulieren kommen?«
»Mir machen nur kalte Sachen. Ich hab die Zunge gekocht, da gibt’s en Meerch dazu, den kann man auch zur geräucherten Forelln essen. En kalten Schweinsbraten hammer auch«, zählte seine Mutter auf. War sie sonst nicht sehr gesprächig, so blühte sie bei diesem Thema richtig auf. »Mir machen en Grupften und ham e Käsplattn, e Eierplattn, eingelegte Bohne und Gürkle, Kartoffelsalat …«
Eines war klar: Da wurden keine zarten, verfeinerten Häppchen gereicht, sondern fränkische, schnörkellose Küche – deftig, ehrlich, gut. Der ›Grupfte‹, bei den Bayern ›Obatzter‹ genannt, war eine pikante Mischung aus Camembert, Butter und Zwiebeln, gewürzt mit Paprika und schmeckte hervorragend mit Salzgebäck, auch zum Frankenwein. Und ›Meerch‹, das war der Apfelsahnemeerrettich, den keiner so luftig und fruchtig-mild herzustellen verstand wie seine Mutter.
»Hör auf, Mamma! Ich kipp gleich um vor Hunger«, stöhnte Angermüller und rieb sich den Magen.
»Willste was essen? Ich könnt’ dir den Rest Fleisch mit der Soßen von gestern warm machen und Eigschnittene dazu.«
Angermüller liebte übrig gebliebene Klöße, aufgeschnitten und in Butter in der Pfanne gebraten, aber bei dem Gedanken an das Fest mit seinem üppigen Buffet, das ihn erwartete, siegte dann doch die Vernunft.
»Danke, Mamma, aber ich bin heute Abend eingeladen und da wird’s reichlich zu essen geben.«
»Wo gehstn scho wieder hin?«
»Bei Rosi und Johannes ist ein großes Fest, ein Abschiedsfest für ein paar junge Leute. Der Florian muss zurück nach München zum Studium, ein Praktikant geht weg und der Sohn von Bea
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