Nebelsphäre - haltlos (German Edition)
da sie erst zwei Tage zuvor die kürzeste Nacht des Jahres gehabt hatten, war es jetzt noch taghell. Die Sonne würde erst eine Stunde später untergehen und selbst danach würde das Leuchten am Horizont noch eine weitere Stunde für genügend Licht sorgen.
Victoria hatte ihre Motorradkluft an und trug die neuen Schuhe, die Fliegermütze und die Sonnenbrille. Es war noch warm, so dass sie in der schweren Lederkleidung schnell zu schwitzen begann. Allerdings bewährten sich die Schuhe schon, während sie auf den Drachenrücken kletterte.
Sie suchte sich einen bequemen Platz in der Hautfalte vor den Flügeln und hielt sich an den Langschuppen fest. Dann testete sie noch einmal ihren Halt durch eine Gewichtsverlagerung und war überrascht, wie viel sicherer sie sich durch die neue Kleidung fühlte.
Sie lächelte zufrieden, als sie sich an Jaromir wandte: „Wir können starten. Hoffentlich ist es oben etwas kühler.“
Der Drache schnaubte belustigt und stieß sich dann vorsichtig, aber doch kraftvoll vom Boden ab.
Diesmal konnte Victoria sich sicher oben halten und kauerte sich dicht an Jaromirs Hals, um weniger Luftwiderstand zu bieten.
Es war ein wundervolles Gefühl, so in die Höhe zu schießen.
Und wieder überwältigte sie der Anblick, der sich ihr über den Baumwipfeln bot.
Jaromir freute sich mit ihr. „Die Natur kann ganz schön beeindruckend sein, oder? Aber jetzt sollte ich mich besser unsichtbar machen. Es sind noch viel zu viele Menschen in der Gegend unterwegs und ich bin ja nicht gerade klein… Am besten machst du meine Aura sichtbar, dann ist es nicht ganz so merkwürdig für dich.“
Sie tat wie ihr geheißen, aber fand es doch erschreckend, als Jaromirs Körper mit einem Schlag durchscheinend wurde. Sie konnte tatsächlich direkt durch ihn hindurch sehen.
Die Bäume rasten nur so unter ihr dahin.
„Uhoh, keine gute Idee!“ , stellte sie überrascht fest. „Ich wusste gar nicht, dass ich Höhenangst habe.“
Von diesem Anblick wurde ihr schlecht und schwindelig zu gleich. Schnell schaute sie wieder in die Ferne und gleich ging es ihr besser.
„Höhenangst hast du sicher nicht“ , beruhigte Jaromir sie, „denn dann hättest du schon am letzten Samstag Probleme gehabt. Aber ich gebe zu, dass es für einen Menschen beängstigend sein muss, so schnell auf scheinbar nichts durch die Luft zu sausen. Keine Angst, Kleines, daran gewöhnst du dich bestimmt ganz schnell.“
Sie konnte das nur hoffen. Im Moment war ihr jedenfalls ziemlich mulmig zumute.
Jaromir flog in den nächsten Minuten ganz ruhig geradewegs auf die tiefer sinkende Sonne zu.
Der Anblick war umwerfend und lenkte Victoria ab.
Tatsächlich fühlte sie sich mit jedem Flügelschlag etwas sicherer. Diese Lederklamotten verbesserten ihren Halt eindeutig – sogar wenn Jaromir vorsichtig Kurven flog.
Die hellgraue Ledermontur war noch in anderer Hinsicht genau die richtige Wahl. Victoria war darin am hellen Abendhimmel für zufällige Beobachter kaum zu sehen.
„Das klappt schon überraschend gut mit dem Fliegen!“ , dachte sie zuversichtlich.
Jaromir lachte leise in sich hinein. „Dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn ich jetzt mal etwas schneller fliege, oder?“
In ihrem Magen kribbelte es vor Aufregung, als sie zustimmte und der Drache das Tempo anzog. Die Luft zerzauste nun ihre Haare, die unter der Fliegermütze herausschauten, und hätte ihr ohne Brille mit Sicherheit Tränen in die Augen getrieben.
„Uiii, das ist SCHNELL!“ , dachte Victoria begeistert.
Der Drache schnaubte nur gemütlich. „Das ist nur meine Reisegeschwindigkeit für Langstreckenflüge – schnell geht anders…“
Jetzt war sie wirklich beeindruckt und dachte nervös: „Aber damit warten wir lieber noch, oder?“
Er nickte. „Klar! Wir sollten besser erst mal ein paar Flugmanöver üben: enge Kurven, schneller Sinkflug, Steilflug, kontrollierte Abstürze und so ’n Zeug.“
Als er ihr Unbehagen bei dieser Ankündigung spürte, fügte er hinzu: „Aber keine Angst, wir fangen langsam an. Schließlich möchte ich dich gern auf meinem Rücken behalten!“
Obwohl Victoria im Geiste mit Jaromir verbunden war, fand sie es schwierig, die Flugmanöver im Voraus zu erahnen und wurde meist von den Kurven überrascht. Wenn Jaromir sie zu eng flog, drohte Victoria wieder den Halt zu verlieren.
„Das muss auf alle Fälle noch besser werden“ , dachte sie energisch, „ ansonsten können wir bei einer Verfolgungsjagd nur in der
Weitere Kostenlose Bücher