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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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stellte er fest, dass er sich in einem kleinen Raum zwischen zwei Wänden befand, zwischen Stall und Außenwand an der westlichen Stirnseite der Scheune. Zwei Schritte von ihm entfernt stand eine Holzleiter, die beinahe senkrecht nach oben in die Dunkelheit führte.
    Jemand musste vor ihm hier gewesen sein, jemand, der den hundert Jahre alten Staub aufgewirbelt und auf dem Boden Spuren hinterlassen hatte.
    War das Katrine gewesen? Mirja hatte abgestritten, von einem verborgenen Raum auf Åludden zu wissen.
    Joakim leuchtete mit der Taschenlampe die Holzleiter ab und sah, dass sie vor einer viereckigen, offenen Luke endete. Dort oben war es pechschwarz, aber er zögerte keine Sekunde, sondern stieg die Sprossen empor.
    Auf der letzten Sprosse angekommen, stemmte er sich hoch und kniete auf einem Holzfußboden. Zu seiner Linken befand sich eine Holzwand. Er erkannte die Bretter wieder und wusste, dass er den verborgenen Raum hinter der Wand auf dem Dachboden gefunden hatte.
    Er ließ das Licht der Taschenlampe durch den Raum springen. In ihrem Schein sah er Bänke – eine Reihe von Bänken.
    Kirchenbänke.
    Er stand am Eingang einer alten Holzkapelle auf dem Scheunendachboden. Es war ein kleiner Andachtsraum unter dem spitzen Dach, vier Bänke und ein schmaler Gang, der an ihnen vorbeiführte.
    Die Bänke waren aus morschem, abgesplittertem Holz und sahen aus, als würden sie aus einer mittelalterlichen Kirche stammen. Sie mussten hier gleichzeitig mit dem Bau der Scheune aufgestellt worden sein, denn es gab keine Tür, durch die man sie hätte tragen können.
    Es gab keine Kanzel und kein Kreuz. Hoch oben an der Wand über den Bänken war ein kleines, schmutziges Fenster. Darunter hing an einem Nagel ein Blatt Papier, das aus einer alten, illustrierten Bibel herausgerissen worden war. Es war eine Zeichnung von Gustave Doré und stellte eine Frau dar, wahrscheinlich Maria Magdalena, die verwundert vor dem Grab Jesu stand und den runden Stein anstarrte, der vom Eingang des Grabes auf das Feld gerollt worden war. Die Öffnung war ein großes, schwarzes Loch.
    Lange betrachtete Joakim das Bild. Dann drehte er sich um – und entdeckte, dass die Bänke nicht leer waren.
    Im Schein der Taschenlampe sah er Briefe darauf liegen.
    Und getrocknete Blumensträuße.
    Und ein Paar weiße Kinderschuhe.
    Auf einer der Bänke entdeckte er etwas Kleines, Weißes. Als er sich hinunterbeugte, sah er, dass es eine Brücke mit falschen Zähnen war.
    Kleine Habseligkeiten, Erinnerungsstücke.
    Es standen auch mehrere geflochtene Körbe herum, in denen Papierschnipsel lagen. Joakim bückte sich und hob einen der Zettel auf und las:
    Carl, von allen vergessen, außer von mir und dem Herrn, Sara.
    In einem anderen Korb lag eine vergilbte Schwarz-Weiß-Postkarte mit dem Bild eines friedlich lächelnden Engels darauf. Joakim nahm die Postkarte, drehte sie um und las, was dort mit kunstvoller Handschrift geschrieben stand:
    Voll Zärtlichkeit im Herzen, meiner geleibten und so sehr vermissten Schwester Maria. Mein täglicher Wunsch an den Herrn ist es, ihr bald wieder zu begegnen.
    Geschrieben im Augenblick der größten Sehnsucht,
    Nils Peter.
    Vorsichtig legte Joakim die Karte wieder zurück in den Korb.
    Das war ein Andachtsraum – ein versteckter Ort für die Toten.
    Auf einer anderen Bank lag ein Buch. Als Joakim es in die Hand nahm, bemerkte er, dass es ein dickes Notizbuch war. Aufdem Deckblatt stand NEBELSTURMBUCH, und es war Seite um Seite handschriftlich beschrieben, aber so klein und ausgeblichen, dass man es in der Dunkelheit nicht entziffern konnte.
    Er steckte es sich in die Jackentasche.
    Joakim sah sich noch ein letztes Mal um, bevor er aufbrechen wollte. Da entdeckte er ein kleines Loch in der Wand hinter der letzten Bank. Als er näher kam, erkannte er es sofort. Es war das Loch, das er selbst vor ein paar Wochen in die Wand gehackt hatte.
    An jenem Abend hatte er den Arm so tief hineingesteckt, wie er konnte. Auf der Bank unterhalb der kleinen Öffnung lag der Gegenstand, den er damals berührt hatte.
    Ein zusammengerolltes Stoffbündel.
    Es war eine hellblaue, zerrissene Jeansjacke, die Joakim irgendwie bekannt vorkam.
    Als er die Buttons mit der Aufschrift RELAX und PINK FLOYD sah, wusste er auch, wem die Jacke gehört hatte. Joakim hatte sie schließlich Abend für Abend gesehen, als er hinter den Gardinen der Apfelvilla gestanden und auf die Straße hinuntergeschaut hatte.
    Die Jeansjacke hatte seiner Schwester

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