Nebelsturm
Fabrikware aus dem Laden war ebenmäßig, brannte langsam ab und verlieh dem Raum ein schönes Licht. Die Kerzen standen im Fenster, auf dem Tisch und im Kronleuchter.
Lebhaft flackerndes Licht für die Toten.
Sie aßen ein leichtes Mittagessen in der Küche, als die Sonne bereits über dem Dach des Waschhauses stand. Sie würde bald ganz untergehen.
Nach dem Essen steckte Joakim Livia und Gabriel in dicke Jacken und machte mit ihnen einen Spaziergang ans Wasser. Er warf einen kurzen Blick zum Scheunentor.
Schweigsam spazierten sie hinunter zum Strand. Die dünnen Schleierwolken waren noch am Himmel zu sehen, aber am Horizont hatte sich bereits eine grauschwarze Wand aufgetürmt.
Das Eis am Strand war dünn und weiß, weiter draußen wurde es dicker und dunkelblau. Die Kinder warfen Kieselsteine und Eisstücke, die über die glatte Oberfläche schlidderten. Sie rutschten unaufhaltsam auf die schwarzen Risse zu.
»Ist euch kalt?«, fragte Joakim.
Gabriel hatte eine rote Nase und nickte verfroren.
»Dann gehen wir wieder zurück.«
Es war der kürzeste Tag des Jahres – die Uhr zeigte erst halb drei, aber der Himmel war bereits in das tiefe Blau der Abenddämmerung getaucht, als sie auf den Hof zurückkamen, wie an einem Spätsommerabend. Joakim meinte, den Atem der anrückenden Schneefront im Nacken spüren zu können.
Kaum waren sie im warmen Haus, zündete er die Kerzen wieder an. In der Dunkelheit würde ihr Flackern bis auf die Straße zu sehen sein, vielleicht sogar bis zum Opfermoor.
Nachdem Livia und Gabriel eingeschlafen waren, zog sich Joakim die Jacke über und ging mit einer Taschenlampe in der Hand hinaus. Er wollte der Scheune einen Besuch abstatten. In den vergangenen Wochen war es ihm nicht gelungen, ihr mehr als ein paar Tage am Stück fernzubleiben.
Draußen war es sternenklar, die dünne Schneedecke im Innenhof war gefroren, und die Eiskristalle knarzten unter seinen Stiefeln.
Er blieb vor dem Scheunentor stehen und drehte sich um. Die Schatten vor dem Waschhaus ließen sich leicht als Gestalten deuten. Eine dünne Frau mit herzförmigem Gesicht, die ihn aus schwarzen, hohlen Augen anstarrte …
»Halte dich fern, Ethel!«, murmelte er und schob die schwere Tür auf.
Er horchte, ob er den Rattenfänger Rasputin miauen hörte, aber es war still.
Joakim ging nicht wie sonst zur Treppe, die zum Dachboden führte. Er lief an den leeren Viehboxen und Futtertrögen vorbei, an denen früher einmal die Kühe im Winter in Reih und Glied gestanden und gefressen hatten.
An der Schmalseite der Scheune war ein rostiges Hufeisen an die Wand genagelt worden.
Joakim kam näher und betrachtete es eingehend. Seine Öffnung zeigte nach oben, damit das Glück des Hofes niemals ausrinnen sollte.
Das Licht der Lampe reichte nicht aus, deshalb schaltete Joakim seine Taschenlampe ein. Als er damit die Decke anleuchtete, wusste er, dass er unter dem verborgenen Raum stand, der sich hinter der Dachbodenwand befand. Er senkte die Taschenlampe.
Jemand hatte auch hier den Fußboden gefegt. Nicht überall, aber in einem länglichen Streifen an der Wand entlang. Zumindest lagen dort weder getrockneter Kuhmist noch modriges Heu.
Wer außer Katrine sollte das getan haben?
In der Ecke hingen alte Fischernetze und dicke Tampen an Nägeln nebeneinander. Einige fielen wie ein Vorhang bis zum Boden. Hinter diesem Vorhang jedoch schien die Wand nicht gerade zu verlaufen, sondern zu versinken.
Joakim trat näher heran und beleuchtete die Stelle mit der Lampe. Die Schatten an der Wand zogen sich zurück, und eine kleine Öffnung unmittelbar über dem Boden wurde sichtbar. Ein Teil der Holzwand fehlte, und als Joakim den nach Teer riechenden Vorhang aus Netzen und Tampen beiseiteschob, sah er, dass die Steinplatten des Bodens darunter weiterführten.
Dort befand sich eine Art Durchgang. Dieser reichte Joakim zwar nur bis zu den Knien, war aber etwa zwei Meter breit.
Seine Neugierde stachelte ihn an, und er kniete sich hin, um in die Öffnung schauen zu können. Aber alles, was er sah, waren getrockneter Lehm und jede Menge Wollmäuse.
Schließlich legte er sich auf den Bauch und kroch und schob sich durch das Loch.
Es gelang ihm zwar, aber eine weiße Mauer versperrte ihm abrupt den Weg. Sie war eiskalt, das musste die Außenwand der Scheune sein. Der Raum war nur knapp einen Meter tief. Nachdem Joakim ein paar Spinnennetze fortgewischt hatte, konnte er sich aufrichten und stehen.
Im Schein der Taschenlampe
Weitere Kostenlose Bücher