Nebelsturm
zukünftigen Arbeitsplatz in Augenschein zu nehmen.
Das neue Polizeirevier von Marnäs lag in einer Seitenstraße, nur zwei Häuserblocks vom Marktplatz entfernt. Das Schild mit den drei Kronen hing zwar schon über der Eingangstür, war aber noch in Plastikfolie eingewickelt.
Tilda holte den Schlüssel aus ihrer Jackentasche und wollte aufschließen. Sie hatte ihn sich am Tag zuvor im Polizeirevier von Borgholm abgeholt. Aber die Tür war nicht versperrt, und aus dem Inneren drangen Männerstimmen.
Das Büro bestand aus einem einzigen Raum, ohne Vorzimmer. Tilda erinnerte sich an Besuche in Marnäs in ihrer Kindheit und daran, dass dieser Raum einen Süßwarenladen beherbergt hatte. Die Wände waren kahl, den Fenstern fehlten Gardinen, und auf dem Holzfußboden lagen keine Teppiche.
Zwei groß gewachsene Männer mittleren Alters standen mit Jacken und schweren Stiefeln in ihrem Büro. Der eine von ihnen trug eine dunkelblaue Polizeiuniform, der andere war in Zivilund trug eine grüne Steppjacke. Sie verstummten augenblicklich und drehten sich zu ihr um, als hätte sie die beiden bei einem derben Scherz gestört.
Tilda war dem Mann in Zivil schon einmal begegnet – es war Kommissar Göte Holmblad, der Chef der Schutzpolizei. Er hatte kurze graue Haare und ein Lächeln, das ständig seine Lippen umspielte. Auch er schien sie wiederzuerkennen.
»Hallo, guten Tag«, begrüßte er sie. »Willkommen im neuen Polizeirevier.«
»Danke schön.« Sie schüttelte ihrem Vorgesetzten die Hand und wandte sich dem anderen Mann zu. Dieser hatte schwarze dünne Haare, buschige Augenbrauen und war in den Fünfzigern. »Tilda Davidsson.«
»Hans Majner.« Sein Handschlag war hart, sachlich und knapp. »Wir beiden werden also in Zukunft hier oben zusammenarbeiten.«
Tilda fand, dass er nicht besonders überzeugt von dem Gelingen dieses Projektes klang. Sie öffnete den Mund, um etwas Zustimmendes zu sagen, aber Majner sprach sofort weiter:
»Ich werde allerdings vorerst logischerweise nicht so oft hier sein. Ich schaue ab und zu mal vorbei, arbeite aber hauptsächlich von Borgholm aus. Ich behalte meinen Schreibtisch auch dort.« Er lächelte seinen Vorgesetzten an.
»Ach so«, sagte Tilda und begriff in dem Moment, dass sie als Polizistin auf Nordöland doch einsamer sein würde, als sie gedacht hatte. »Arbeiten Sie an einem besonderen Projekt?«
»Kann man so sagen«, antwortete Majner und sah durch das Fenster hinaus auf die Straße, als hätte er dort soeben einen Verdächtigen entdeckt. »Es geht natürlich um Drogen. Der Scheiß kommt auch auf diese Insel, so wie überall.«
»Hier ist Ihr Schreibtisch, Tilda«, sagte Holmblad. »Es werden Ihnen selbstverständlich noch Computer, Faxgerät … und auch ein stationärer Polizeifunk installiert. Aber bis auf Weiteres müssen Sie sich leider vorerst mit dem Telefon begnügen.«
»Das ist in Ordnung.«
»Sie werden ja sowieso nicht so viel im Büro herumsitzen«, fuhr er fort. »Das war auch die Idee hinter der Reform der Schutz polizei; wir sollen für die Menschen draußen sichtbar sein. Wir konzentrieren uns auf Verkehrsunfälle, Körperverletzung, Beschädigung, kleinere Diebstähle und Einbruch. Einfache Ermittlungsarbeit. Und Jugendkriminalität, natürlich.«
»Das passt großartig«, sagte Tilda. »Ich habe auf dem Weg hierher ein getrimmtes Moped angehalten.«
»Sehr gut«, der Polizeichef nickte lobend. »Dann haben Sie gleich deutlich gemacht, dass hier wieder Polizeianwesenheit herrscht. Und nächste Woche findet die offizielle Einweihung statt. Die Medien sind eingeladen. Zeitungen, das Lokalradio … Sind Sie dabei?«
»Selbstverständlich.«
»Sehr gut. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihnen … ich weiß ja, dass Sie vorher in Växjö stationiert waren. Die Arbeit auf der Insel wird um einiges selbstständiger sein als zuvor. Das hat eine gute und eine schlechte Seite. Sie haben viel mehr Freiheiten, Ihre Arbeit einzuteilen, aber Sie tragen natürlich auch mehr Verantwortung … Die Fahrt von Borgholm hierher dauert mindestens eine halbe Stunde, und das Revier dort ist auch nicht rund um die Uhr besetzt. Das bedeutet, dass im Falle einer Notsituation nicht sofort Verstärkung anrücken kann.«
Tilda nickte.
»Auf der Polizeischule haben wir häufig Situationen mit verspäteter Verstärkung durchgespielt. Meine Lehrer haben großen Wert darauf gelegt, dass …«
Majner schnaubte verächtlich.
»Diese Lehrer an den Polizeischulen
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