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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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uns nur … nur unterhalten?«, fragte er unsicher. »Über meinen Bruder?«
    »Unter anderem«, sagte Tilda. »Das fällt dir doch nicht schwer, oder?«
    »Aber warum ?«
    »Um die Erinnerungen und die Geschichten zu bewahren … bevor sie ganz verschwinden«, erklärte Tilda und fügte dann schnell hinzu: »Du wirst natürlich noch lange leben, Gerlof, so war das nicht gemeint. Ich möchte die Geschichten sicherheitshalber aufnehmen. Papa hat ja nicht so viel von Großvater erzählt, bevor er starb.«
    Gerlof nickte.
    »Wir können uns schon unterhalten. Aber wenn es aufgenommen wird, muss man so vorsichtig sein, was man sagt.«
    »Da besteht keine Gefahr«, beruhigte ihn Tilda. »Eine Kassette kann man immer überspielen.«
    Als sie Gerlof im August angerufen und ihm erzählt hatte, dass sie nach Marnäs ziehen würde, hatte er ihrem Projekt sofort und ohne Bedenkzeit zugestimmt. Aber es schien ihm jetzt doch einiges Kopfzerbrechen zu bereiten.
    »Ist es schon an?«, fragte er leise. »Läuft es schon?«
    »Nein, noch nicht«, antwortete Tilda. »Ich sage Bescheid.«
    Sie drückte den Aufnahmeknopf, überprüfte, dass die Kassette lief, und nickte Gerlof aufmunternd zu.
    »So, jetzt geht es los.« Tilda setzte sich gerade hin und hatte auch den Eindruck, dass ihre Stimme angespannter und feier licher klang, als sie fortfuhr: »Hier spricht Tilda Davidsson, und ich sitze in Marnäs bei dem Bruder meines Großvaters Ragnar,um mit Gerlof über meine Familie zu sprechen … und über das Leben meines Großvaters hier in Marnäs.«
    Gerlof beugte sich mit steifem Rücken über den Tisch und korrigierte sie mit deutlicher Stimme:
    »Mein Bruder Ragnar lebte nicht in Marnäs. Er wohnte an der Küste bei Rörby, südlich von Marnäs.«
    »Das stimmt, Gerlof … und welche Erinnerungen hast du an Ragnar?«
    Gerlof zögerte einen Augenblick.
    »Ich habe viele gute Erinnerungen«, begann er. »Wir sind zusammen in Stenvik aufgewachsen, in den Zwanzigerjahren. Allerdings haben wir uns dann für ganz unterschiedliche Berufszweige entschieden … er kaufte sich ein kleines Häuschen und wurde Bauer und Fischer, und ich zog nach Borgholm, habe geheiratet und dann meinen ersten Frachter gekauft.«
    »Wie oft habt ihr euch gesehen?«
    »Immer wenn ich wieder an Land war, ein paarmal im Jahr. An Weihnachten und dann im Sommer ab und zu. Meistens kam Ragnar zu uns in die Stadt.«
    »Habt ihr Feste zusammen gefeiert?«
    »Ja, vor allem Weihnachten.«
    »Und wie war das?«
    »Eng, aber gemütlich. Es gab Unmengen zu essen. Hering und Kartoffeln und Schinken und Schweinefüße und gefüllte Kartoffelklöße, die kroppkakor . Ragnar hatte natürlich immer viel Aal im Gepäck, geräuchert und eingelegt und noch mal so viel Stockfisch …«
    Je mehr Gerlof ins Erzählen kam, desto entspannter wurde er. Und Tilda auch.
    Über eine halbe Stunde unterhielten sie sich ungezwungen. Nachdem Gerlof aber die Geschichte von einem Scheunenbrand in Stenvik ausführlich erzählt hatte, hob er die Hand. Tilda verstand sofort, dass er erschöpft war, und beendete das Interview.
    »Wunderbar«, sagte sie zufrieden. »Du erinnerst dich ja an unglaublich viel, Gerlof.«
    »Ja, die alten Familiengeschichten sind präsent, ich habe sie selbst so oft gehört. Die Erinnerung funktioniert besser durch mündliche Überlieferung.« Erneut warf er einen skeptischen Blick auf das Gerät. »Glaubst du, dass das Ding da was aufgenommen hat?«
    »Natürlich.«
    Tilda spulte zurück und drückte auf die Playtaste. Gerlofs Stimme klang leise, krächzend und abgehackt, aber er war deutlich zu hören.
    »Gut«, er wirkte beruhigt. »Das können sich später dann die Volkskundler anhören.«
    »Es ist hauptsächlich für mich selbst«, sagte Tilda. »Als Groß vater ertrank, war ich noch nicht auf der Welt, und Papa hat nie gerne alte Familiengeschichten erzählt. Ich bin einfach neugierig.«
    »Das kommt im Laufe des Lebens, wenn die eigene Vergangenheit wächst und man mit ihr leben lernt«, nickte Gerlof. »Dann fängt man an, sich für seine Geschichte zu interessieren. Das habe ich auch bei meinen eigenen Töchtern beobachtet … Wie alt bist du eigentlich?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »Und jetzt bist du nach Öland gekommen, um hier zu arbeiten?«
    »Ja, so ist das, die Lehrjahre sind vorbei.«
    »Wie lange wirst du bleiben?«
    »Das wird sich zeigen. Vorerst auf jeden Fall bis zum nächsten Sommer.«
    »Wie erfreulich. Es ist so wunderbar, wenn junge

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