Nebelsturm
die Stenbergs – ein kinderloses Ehepaar Mitte dreißig, die beide in der Innenstadt arbeiteten, aber außerhalb wohnen wollten.
Joakim wendete den Wagen vor der Kiesauffahrt, sodass der Anhänger vor der Garage zum Halten kam. Dann stieg er aus.
In der Gegend war es still. Die Nachbarn, deren Haus das einzige war, das man von der Apfelvilla aus sehen konnte, hießen Hesslin, Lisa und Michael Hesslin, und waren zu guten Freunden geworden. Aber auch ihre Auffahrt war leer an diesem Nachmittag. Sie hatten ihre Villa diesen Sommer zum wiederholten Mal neu streichen lassen, jetzt leuchtete sie gelb. Als die Zeitschrift Schöner Wohnen im vergangenen Jahr ihre Reportageüber Hesslins Villa veröffentlicht hatte, war sie noch weiß gewesen.
Joakim drehte sich um und sah den Kiesweg hinauf zur hölzernen Gartentür.
Unfreiwillig musste er an Ethel denken. Fast ein Jahr war seitdem vergangen, aber er konnte ihre Schreie noch immer hören.
Neben dem Holzzaun führte ein schmaler Weg durch einen kleinen Hain. Niemand hatte gesehen, dass Ethel an jenem Abend diesen Weg genommen hatte, aber es war der kürzeste Weg hinunter zum Wasser.
Während er auf das Haus zuging, hob er den Blick zur weißen Fassade. Die Farbe hatte noch ihren Glanz, und Joakim erinnerte sich an jeden einzelnen Pinselstrich vor zwei Jahren, als er die zwei Schichten Leinöl aufgetragen hatte.
Er schloss auf und betrat das Haus. Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, blieb er einen Augenblick regungslos stehen.
In den vergangenen Wochen hatte er das Haus umzugsfertig gemacht, geputzt und aufgeräumt. Alle Möbel, Teppiche und Bilder in der Eingangshalle und den Räumen waren fort – aber die Erinnerungen waren noch da. Und davon gab es viele. Mehr als drei Jahre lang hatten Katrine und er ihre Seelen in dieses Haus gesteckt.
Es war vollkommen still, aber in seinem Inneren konnte Joakim alle Hammerschläge und Sägegeräusche der vergangenen Jahre hören. Er zog die Schuhe aus und betrat die Eingangshalle. Ein schwacher Geruch von Reinigungsmitteln hing noch in der Luft.
Er machte einen Rundgang durch die Räume. Im oberen Stockwerk kam er an den zwei Gästezimmern vorbei und blieb einen Augenblick zögernd auf der Türschwelle des einen stehen. Ein kleiner Raum mit einem einzigen Fenster. Weiße glänzende Tapeten und ein blanker Holzfußboden. Hier hatte Ethel geschlafen, wenn sie zu Besuch war.
Im Keller standen noch Sachen, die nicht in den Umzugswagen gepasst hatten. Joakim stieg die steile Treppe hinunter und begann, sie zum Anhänger zu tragen: einen Sessel, ein paar Stühle, Matratzen, eine kleine Leiter und einen verstaubten Vogelkäfig, das Andenken an William, den längst verstorbenen Wellensittich. Sie hatten die Reinigungsarbeiten im Keller vor dem Umzug nicht beenden können, aber zum Glück hatte er noch einen Staubsauger, mit dem er schnell den gestrichenen Zementboden, die Einbauschränke und die Bodenleisten absaugte.
Damit war das Haus leer und sauber.
Danach sammelte er die Reinigungsausrüstung zusammen – Staubsauger, Eimer, Putzmittel und Lappen – und stellte sie an den Fuß der Kellertreppe.
Im Hobbykeller hingen noch viele seiner Werkzeuge an der Wand. Auch die sammelte Joakim zusammen und packte sie in einen Umzugskarton: Hammer, Feilen, Zangen, Bohrer, Win kelhaken, Meißel. Moderne Schraubenzieher waren vielleicht besser, aber nichts ging über die altmodischen, großen Schraubmeißel.
Pinsel, Fuchsschwänze, Wasserwaagen, Zollstock …
Joakim hatte gerade nach einem Hobel gegriffen, als er hörte, wie jemand die Eingangstür öffnete. Er richtete sich auf und lauschte angestrengt.
»Hallo?«, rief eine Frauenstimme. »Kim?«
Das war Katrine, und sie klang besorgt. Er hörte, wie sie die Tür hinter sich schloss und in die Diele ging.
»Hier unten!«, rief er zurück. »Im Keller!«
Er lauschte erneut, bekam aber keine Antwort.
Joakim ging auf die Kellertreppe zu und wartete. Als es jedoch totenstill blieb, sprang er die Treppe hinauf, während er gleichzeitig begriff, wie unwahrscheinlich es eigentlich war, dass Katrine dort oben stand.
Und das tat sie auch nicht. Die Diele war so menschenleer wie schon bei seiner Ankunft vor einer halben Stunde. Und die Eingangstür war zu.
Zur Sicherheit drückte er den Griff herunter. Die Tür war nicht abgeschlossen.
»Hallo?«, rief er erneut.
Keine Antwort.
Die nächsten zehn Minuten lief Joakim durchs ganze Haus, Raum für Raum, obwohl er
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