Nebelsturm
Schiffswracks. Recycling war schon damals ein Thema.«
»Warum leuchtet eigentlich nur einer der Türme?«, fragte Tilda.
»Da ist wohl mal ein Unglück geschehen, ein Brand … Die Doppeltürme wurden damals ja gebaut, damit sie sich von den anderen Leuchtfeuern der Insel unterschieden. Aber es ist höchstwahrscheinlich zu teuer gewesen, beide zu unterhalten und sie jede Nacht brennen zu lassen. Ein Turm genügte vollkommen.« Nach einer kurzen Pause fügte Gerlof hinzu: »Und heutzutage navigieren die Schiffe ja alle mithilfe von Satelliten, genau genommen benötigt man ihn überhaupt nicht mehr.«
»Moderne Zeiten!«
»Genauso ist es. Rechter Schuh und linker Schuh.«
Eine gelassene Stille senkte sich über den Raum.
»Warst du in der Aalbucht?«, fragte Gerlof nach einer Weile.
Tilda nickte. Sie hatten aufgehört, über die Familie Davidsson zu sprechen, und sie schaltete das Tonbandgerät aus.
»Letzte Woche war ich auf Hof Åludden«, erzählte sie. »Wir hatten einen Todesfall dort, jemand ist ertrunken.«
»Ich habe darüber in der Ölands-Posten gelesen. Eine junge Frau ist ertrunken. Sie hatte gerade den Hof gekauft, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wer hat sie denn gefunden?«
Tilda zögerte.
»Ich sollte besser nicht so viel darüber reden.«
»Nein, stimmt ja. Das ist natürlich eine Polizeiangelegenheit. Und außerdem eine Tragödie.«
»Ja, besonders für den Ehemann und die Kinder.«
Und dann erzählte ihm Tilda doch fast die ganze Geschichte. Wie sie zum Unfallort gerufen wurde und zusehen musste, wie der Körper aus dem Wasser gezogen wurde.
»Die Tote, Katrine Westin, war allein auf dem Hof. Sie hat zu Mittag gegessen, die Spülmaschine angestellt und ist dann hinunter zum Strand und weiter auf die Mole gegangen. Dort muss sie ausgerutscht sein, oder sie ist ins Wasser gesprungen.«
»Und ertrunken!«, fügte Gerlof hinzu.
»Ja, sie ist sofort ertrunken, obwohl es dort nicht besonders tief ist.«
»An einigen Stellen schon. Ich habe gesehen, wie Segelboote weiter draußen an der Mole angelegt haben. Gab es Zeugen?«
Tilda schüttelte den Kopf.
»Zumindest hat sich bisher kein Zeuge gemeldet. Die Küste war menschenleer.«
»Die Küste von Öland ist im Winter eigentlich immer menschenleer«, betonte Gerlof. »Und es gab keine Spuren von Fremdeinwirkung? Jemand, der sie vielleicht gestoßen hat?«
»Nein, sie war allein auf der Mole. Um dorthin zu gelangen, muss man über den Strand gehen, und wir haben keine Spuren im Sand feststellen können.« Tilda sah hinüber zu dem Tonbandgerät. »Wollen wir noch ein bisschen über Ragnar reden?«
Gerlof schien ihr gar nicht zuzuhören. Mühsam erhob er sich und ging zu seinem Schreibtisch. Er zog ein schwarzes Notizheft aus einer der Schubladen.
»Ich notiere mir jeden Tag das Wetter«, erklärte er. Er blätterte in den Seiten. »An diesem Tag war es praktisch windstill, Windstärke eins maximal zwei.«
»Ja, das stimmt. Es war windstill auf Åludden.«
»Also können eventuelle Spuren auch nicht von Wellen fortgespült worden sein.«
»Genau, außerdem waren die Spuren der Frau im Sand noch zu erkennen. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen.«
»War sie verletzt?«
Tilda zögerte mit ihrer Antwort. In ihrem Gedächtnis tauchten unerwünschte Bilder auf.
»Ich habe sie nur ganz kurz gesehen, aber sie hatte eine Wunde auf der Stirn.«
»Eine Schramme?«
»Ja … sie ist wahrscheinlich beim Sturz gegen einen Stein geprallt.«
Gerlof setzte sich langsam auf seinen Stuhl.
»Gibt es irgendwelche Feinde?«
»Wie bitte?«
»Hatte sie Feinde … die Ertrunkene?«
Tilda seufzte.
»Woher soll ich das wissen, Gerlof? Haben Mütter mit kleinen Kindern hier auf der Insel für gewöhnlich Todfeinde?«
»Ich habe nur überlegt, ob …«
»Ich glaube, wir wechseln jetzt das Thema!« Tilda sah ihren alten Verwandten streng an. »Ich weiß, dass du Spaß daran hast, Rätsel zu lösen, aber ich dürfte mit dir eigentlich überhaupt nicht darüber reden.«
»Ja, ich verstehe, du bist ja Polizistin!«, antwortete Gerlof.
»Ja, aber eben nicht von der Mordkommission. Außerdem ist auch keine Morduntersuchung in die Wege geleitet worden. Es gibt keine Anzeichen eines Verbrechens, kein Motiv. Ihr Mann bezweifelt zwar, dass es ein Unglück war, hat aber auch keinen Verdacht, wer seine Frau hätte töten wollen.«
»Ist schon gut«, lenkte Gerlof ein. »Ich habe nur laut nachgedacht. Ich mag das, wie du ganz richtig festgestellt
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