Nebelsturm
sind Sie weggezogen? War irgendetwas verkehrt mit dem Haus?«
Joakim vermied es, Gerlof anzusehen.
»Da war nichts verkehrt … wir mochten dieses Haus sehr. Aber manchmal ist es einfach besser, sich zu vergrößern. Vor allem ökonomisch betrachtet.«
»Wieso das?«
»Man nimmt einen Kredit auf, kauft eine heruntergekommene Wohnung in einer guten Lage und beginnt, diese abends und an den Wochenenden zu renovieren, kann gleichzeitig aber darin wohnen. Dann sucht man sich einen geeigneten Käufer und verkauft zu einem viel höheren Preis als den, den man selbst dafür bezahlt hat … und dann nimmt man einen neuen Kredit auf und kauft sich eine neue, renovierungsbedürftige Wohnung in einer noch besseren Lage.«
»Die man dann auch wieder verkauft?«
Joakim nickte.
»Damit ließe sich natürlich kein Geld verdienen, wenn die Nachfrage nach Wohnungen nicht so groß wäre. Aber es wollen ja alle in Stockholm leben.«
»Ich nicht«, sagte Gerlof.
»Sehr viele wollen das … die Preise steigen unaufhörlich.«
»Ihre Frau und Sie hatten folglich ein großes Talent, Wohnungen zu renovieren?«, fragte Tilda.
»Wir haben uns tatsächlich bei einer Wohnungsbesichtigung kennengelernt«, antwortete Joakim mit neuer Energie in der Stimme. »Eine ältere Frau hatte mit unendlich vielen Katzen in dieser großen Wohnung gehaust. Die Lage war perfekt, aber Katrine und ich waren die Einzigen, die den Gestank aushalten konnten, und wir blieben. Danach sind wir Kaffeetrinken gegangen und haben uns darüber unterhalten, was man mit dieser Wohnung alles machen könnte … es wurde unser erstes gemeinsames Projekt.«
Gerlof sah sich in dem Salon mit etwas ärgerlicher Miene um.
»Und das Gleiche hatten Sie offensichtlich auch mit Åludden vor?«, brummte er. »Einziehen, renovieren und verkaufen?«
Joakim schüttelte den Kopf.
»Nein, hier wollten wir tatsächlich länger wohnen bleiben. Zimmer vermieten, vielleicht einen kleinen Gasthof daraus machen.« Er schaute aus dem Fenster und fügte hinzu: »Wir hatten keine endgültigen Pläne, was wir alles anstellen wollten, aber wir wussten, dass wir uns hier wohlfühlen würden …«
Er hatte seine Kraft wieder verloren, Tilda sah es ganz deutlich. Die eintretende Stille war erdrückend.
Nach dem Rundgang tranken sie in der Küche eine Tasse Kaffee.
»Tilda erzählte mir, dass Sie gerne ein paar Geschichten über den Hof hören würden«, sagte Gerlof.
»Sehr gerne sogar«, antwortete Joakim, »wenn es welche gibt.«
»Die gibt es bestimmt«, nickte Gerlof. »Aber Sie meinen vor allem Spukgeschichten, nicht wahr? Daran sind Sie am meisten interessiert?«
Joakim zögerte, als ob er Angst hätte, dass ihn jemand belauschte:
»Ich möchte nur gern erfahren, ob auch andere ungewöhnliche Dinge erlebt haben«, gestand er. »Ich habe da etwas gespürt … oder sagen wir, ich habe geglaubt, etwas zu spüren … ich meine die Toten von Åludden. Sowohl in dem Leuchtturm als auch hier im Haus. Und andere, also Besucher, scheinen auch etwas in dieser Richtung erlebt zu haben.«
Tilda sagte nichts, musste aber an jenen Abend im Oktober denken, als sie auf Westin im Haus gewartet hatte. Sie war allein auf dem Hof gewesen – doch sie hatte sich nicht allein gefühlt.
Gerlof hielt die Kaffeetasse in der Hand und sagte: »Die Menschen, die hier gelebt haben, die sind noch da. Oder glauben Sie, dass sie nur auf dem Friedhof liegen und dort ruhen?«
»Aber dort sind sie begraben«, sagte Joakim leise.
»Nicht immer.« Gerlof machte mit dem Kopf eine Bewegung zu der Rückseite des Hauses, wo sich die gepflügten Felder erstreckten. »Die Toten sind unsere Nachbarn, überall auf der Insel. Das müssen wir akzeptieren. Die ganze Landschaft ist voll von alten Gräbern: Ganggräber aus der Steinzeit, Steinsetzungen aus der Bronzezeit, Steingräber aus der Eisenzeit und die Grabfelder der Wikinger.«
Gerlof sah hinaus aufs Wasser, wo der Horizont hinter einem feuchten Winternebel verschwunden war.
»Und da draußen befindet sich auch ein riesiger Friedhof«,sagte er. »Die ganze Ostküste ist eine gigantische Grabstätte für Hunderte von Schiffen, die auf den Sandbänken gestrandet sind und zerschellten, und für alle Seeleute, die dabei ertrunken sind. Viele der Seeleute konnten damals nicht schwimmen.«
Joakim nickte und schloss die Augen.
»Früher habe ich an gar nichts geglaubt«, bekannte er. »Bevor wir hierhergezogen sind, habe ich nicht daran geglaubt, dass
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