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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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denn?«
    Tilda zögerte.
    »Weiß ich nicht … aber ich habe gestern Bengt Nyberg von der Ölands-Posten getroffen, und er hat mir gesagt, dass unser neues Polizeirevier schon einen Spitznamen bekommen hat.«
    »Ja, und welchen?«
    »Es wird Weiberstation genannt.«
    Gerlof schüttelte müde den Kopf.
    »Weiberstation … früher hat man auf Öland alle Bahnhöfe so genannt, die ausschließlich mit weiblichen Angestellten besetzt waren. Die Stationsvorsteher konnten sich nicht vorstellen, dass die Frauen die Arbeit genauso gut erledigen konnten wie sie.«
    »Sie haben es bestimmt sogar besser gemacht«, behauptete Tilda trotzig.
    »Ja, ich habe zumindest nie Beschwerden gehört.«
    Tilda verließ Marnäs und fuhr die menschenleere Landstraße entlang. Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt, die flache Küstenlandschaft wirkte erstarrt wie in einem grauweißen Gemälde.
    »Es ist so schön hier am Meer«, sagte Gerlof.
    »Stimmt«, sagte Tilda. »Aber du bist auch voreingenommen.«
    »Ich liebe meine Insel.«
    »Und du hasst das Festland.«
    »Aber nein«, sagte Gerlof. »Ich bin kein engstirniger Lokalpatriot … aber die Liebe hat ihre Wurzel in der Heimat. Wir Inselbewohner müssen Ölands Würde bewahren und verteidigen.«
    Gerlofs Laune besserte sich langsam, und er wurde zunehmend redseliger. Als sie den kleinen Friedhof von Rörby passierten, zeigte er auf den Seitenstreifen.
    »Apropos Aberglaube und Gespenster … möchtest du eine Geschichte hören, die mein Vater uns jedes Jahr zu Weihnachten erzählt hat?«
    »Gerne«, antwortete Tilda.
    »Der Vater deines Großvaters und von mir hieß Carl Davidsson«, begann Gerlof. »Mit zwanzig arbeitete er als Knecht auf einem Hof in Rörby. Eines Tages wurde er Zeuge eines sonderbaren Ereignisses. Sein älterer Bruder war zu Besuch, und sie gingen in der Dämmerung spazieren und kamen an der Kirche vorbei. Es war die Zeit um Neujahr, sehr kalt und viel Schnee. Plötzlich hörten sie, dass sich von hinten ein Pferdeschlitten näherte. Der Bruder warf einen Blick über die Schulter, schrie auf, packte Carl am Arm und zog ihn mit sich, weg von der Straße und hineinin den Schnee. Carl verstand gar nicht, was los war, bis er den Schlitten sah, der sie überholte.«
    »Ich kenne die Geschichte doch schon«, warf Tilda ein. »Papa hat sie mir mal erzählt.«
    Aber Gerlof sprach weiter, als ob er ihren Einwand nicht gehört hätte:
    »Es war eine Heufuhre. Die kleinste Heufuhre, die Carl jemals gesehen hatte, und sie wurde von vier kleinen Pferden gezogen. Hoch oben auf den Heuballen kletterten kleine graue Männlein herum. Sie waren nicht größer als einen Meter.«
    »Kobolde«, sagte Tilda. »Nicht wahr?«
    »Den Ausdruck hat mein Vater nie benutzt. Er nannte sie das kleine Volk mit grauen Mänteln und Mützen. Carl und sein Bruder wagten sich nicht zu rühren, denn die Männer sahen keineswegs freundlich aus. Aber die Fuhre passierte die Jungen, ohne dass etwas geschah, und hinter dem Friedhof bog sie ab und tauchte ein in die Dunkelheit der Großen Alvar . « Gerlof nickte gedankenverloren. »Mein Vater hat geschworen, dass es sich genau so zugetragen hat.«
    »Eure Mutter hatte doch auch einen Kobold gesehen, oder?«
    »Ja, das stimmt. Als sie jung war, hat sie einen kleinen grauen Mann gesehen, der direkt an ihr vorbei ins Wasser gelaufen ist … aber das war im Süden von Öland.« Gerlof schaute Tilda an. »Du stammst aus einer Familie, die viele sonderbare Dinge gesehen hat. Vielleicht hast du den Blick dafür geerbt?«
    »Hoffentlich nicht«, stöhnte Tilda.
    Fünf Minuten später hatten sie die Abzweigung zum Hof erreicht, aber Gerlof wollte gern eine Pause einlegen, um sich die Beine zu vertreten. Er zeigte durch das Fenster auf die Graslandschaft hinter einer Steinmauer.
    »Das Opfermoor beginnt zuzufrieren. Wollen wir uns das kurz anschauen?«
    Tilda stoppte das Auto am Straßenrand und half Gerlof auszusteigen. Der Wind blies ihnen kalt entgegen. Auf den Moorteichen hatte sich eine dünne Schicht Eis gebildet.
    »Dieses Moor gehört zu den wenigen alten Mooren, die auf der Insel noch erhalten sind«, dozierte Gerlof. »Die meisten hat man trockengelegt, und sie sind für immer verschwunden.«
    Tilda folgte seinem Blick und sah plötzlich eine Bewegung im Wasser, ein schwarzes Beben zwischen zwei dicken Grasbüscheln, das die dünne Haut aus Eis zuerst erzittern und dann zerbrechen ließ.
    »Gibt es hier Fische?«
    »Ja, aber natürlich«, sagte

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