Nebelsturm
also unsere kleine Märchenstunde«, sagte er und seufzte. »Ich habe schon ein bisschen den schlauen alten Mann gespielt. Es ist schwierig, das zu vermeiden.«
Das braune Paket mit Katrine Westins Kleidungsstücken lag auf seinem Schoß. Tilda zeigte darauf.
»Was hat es mit den Kleidungsstücken auf sich? Warum wolltest du sie mitnehmen?«
Gerlof betrachtete das Paket auf seinem Schoß.
»Mir ist da was eingefallen, als wir vorhin im Moor waren. Ich musste an die Opferrituale denken.«
»Was meinst du? Dass Katrine Westin geopfert wurde?«
»Ich kann dir mehr dazu sagen, wenn ich mir die Kleidungsstücke angesehen habe«, vertröstete er sie.
Tilda bog auf die Landstraße.
»Dieser Besuch hat mich sehr bedrückt«, sagte sie.
»Bedrückt?«
»Ja, wegen Joakim Westin und seinen Kindern. Als wir in der Küche saßen und du über die Legenden gesprochen hast, hatte ich den Eindruck, dass Westin an sie glaubt.«
»Ja, du hast recht«, sagte Gerlof. »Aber ich denke, es hat ihm gutgetan zu reden. Er trauert immer noch um seine Frau, das ist auch nicht weiter verwunderlich.«
»Nein, natürlich nicht«, stimmte ihm Tilda zu. »Ich fand nur, dass er über sie gesprochen hat, als ob sie noch leben würde … als ob er damit rechnet, sie wiederzusehen.«
20
N ach dem Einbruch in das Pfarrhaus von Hagelby und der Flucht durch den Wald herrschte fast zwei Wochen Funkstille, ehe die Brüder Serelius wieder in Borgholm auftauchten. Aber eines Abends, in dem denkbar ungünstigsten Moment, standen sie plötzlich vor Henriks Tür.
Die leisen, aber rhythmischen Klopfzeichen in seiner Wohnung waren mittlerweile unerträglich geworden, wie ein tropfender Wasserhahn, den man nicht abstellen konnte.
Am Anfang war Henrik sicher, dass das Klopfen auf die alte Lampe zurückzuführen war, und nach drei anstrengenden Nächten mit den Klackgeräuschen, trug er sie entnervt ins Auto. Am nächsten Morgen machte er auf dem Weg zur Arbeit einen Abstecher an die Ostküste und brachte die Lampe ins Bootshaus.
Aber die Klopfzeichen kehrten in derselben Nacht wieder, jetzt kamen sie aus der Wand im Flur. Jedoch nicht immer aus derselben Wand – das Geräusch schien sich langsam hinter der Tapete zu bewegen.
Wenn es nicht die Lampe war, musste es etwas anderes sein, etwas, das er aus dem Wald mitgebracht hatte oder aus dem verdammten Leichenkeller, in dem er herumgekrochen war.
Vorausgesetzt, es hatte sich nicht etwas Unheimliches zusammen mit dem Ouija-Brett der Serelius-Brüder in die Wohnung hineingeschlichen. An den Abenden, an denen sie um den Küchentisch gesessen und die Bewegungen des Glases unterTommys Finger verfolgt hatten, hatte er das Gefühl gehabt, als sei etwas Unsichtbares im Zimmer.
Was auch immer es war, es machte Henrik fertig. Jeden Abend lief er zwischen dem Schlafzimmer und der Küche hin und her, und es grauste ihm davor, das Licht auszumachen und schlafen zu gehen.
Aus lauter Verzweiflung hatte er seine Exfreundin Camilla angerufen. Sie hatten monatelang nichts voneinander gehört, aber Camilla schien sich über seinen Anruf zu freuen. Sie hatten fast eine Stunde miteinander telefoniert.
Als es drei Tage später an seiner Tür klingelte, waren Henriks Nerven gespannt wie Drahtseile, und es ging ihm auch nicht viel besser, als er Tommy und Freddy vor der Tür stehen sah.
Tommy trug eine Sonnenbrille, und seine Hände zitterten. Er lächelte nicht.
»Lass uns rein.«
Es war kein fröhliches Wiedersehen. Henrik wollte von den Brüdern Serelius Geld haben, sie aber hatten keines – sie hatten noch nichts von der Beute verkauft. Er wusste, dass sie noch eine Tour in den Norden der Insel planten, aber da wollte Henrik nicht mitmachen.
Er hatte Besuch und wollte an diesem Abend nicht mit ihnen darüber diskutieren.
»Wir können uns jetzt nicht unterhalten«, sagte er.
»Oh doch, wir können«, entschied Tommy.
»Nein.«
»Wer ist da?«, rief Camilla aus dem Wohnzimmer.
Die Brüder reckten neugierig den Kopf, um zu sehen, wem die helle Stimme gehörte.
»Es sind nur … zwei Kumpel«, rief Henrik zurück. »Aus Kalmar. Aber sie gehen gleich wieder.«
Tommy schob die Sonnenbrille etwas nach unten und warf Henrik einen bedeutungsvollen Blick zu. Daraufhin zog Henrik die Tür hinter sich zu und ging mit den Brüdern ins Treppenhaus.
»Glückwunsch«, sagte Tommy. »Ist es eine neue Eroberung oder eine alte?«
»Es ist meine Exfreundin«, flüsterte Henrik. »Camilla.«
»Verdammt … ist
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