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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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was ihn jetzt noch störte, waren die aufdringlichen Brüder Serelius.
    Und das Klopfen.
    Henrik lauschte in die Dunkelheit, hörte aber nur Camillas leise Atemzüge. Sie war sofort eingeschlafen.
    Stille. Keine Geräusche aus den Wänden.
    Er wollte jetzt nicht an das Klopfen denken. Auch nicht an den Besuch der Brüder Serelius. Oder an Hof Åludden.
    Camilla war wieder da, aber er hatte sich nicht getraut, mit ihr zu besprechen, wie ihre Beziehung nun aussehen sollte. Auf jeden Fall wohnten sie nicht mehr zusammen. Am nächsten Morgen fuhr er früh zur Arbeit nach Marnäs. Da war sie noch in seiner Wohnung. Als er aber abends nach Hause kam, war Camilla weg. Und sie ging auch nicht ans Telefon, als er bei ihr anrief.
    Als er wieder allein im Bett lag, hörte er, nachdem er das Licht ausgemacht hatte, die Geräusche im Flur. Ein Klopfen in der Wand, leise, aber beharrlich.
    Henrik hob den Kopf vom Kissen.
    »Halt’s Maul!«, schrie er.
    Die Klopfzeichen verstummten für ein paar Minuten, dann kehrten sie zurück.

WINTER 1959
    Der letzte Winter der Fünfzigerjahre – mit diesem Datum beginnt meine eigene Geschichte. Die Geschichte von Mirja Rambe auf Åludden und von Torun und ihren Gemälden vom Nebelsturm.
    Ich war sechzehn und vaterlos, als ich auf den Hof bei den Leuchttürmen zog. Aber ich hatte Torun. Sie hatte mich etwas gelehrt, was alle Mädchen lernen sollten: sich niemals auf einen Mann zu verlassen.
    Mirja Rambe
    Die zwei Männer, die meine Künstlermutter Torun am meisten hasste, waren Stalin und Hitler. Sie wurde wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges geboren und wuchs relativ behütet in der Bondegata in Stockholm auf, war aber ihr Leben lang rastlos und wollte hinaus in die weite Welt. Sie liebte die Malerei und begann Anfang der Dreißigerjahre zunächst auf der Kunstschule in Göteborg. Später zog es sie nach Paris, wo sie die Leute angeblich ständig mit Greta Garbo verwechselten. Für ihre ersten Gemälde erntete sie durchaus Aufmerksamkeit, aber bei Kriegsausbruch 1939 wollte sie unbedingt zurück nach Schweden und reiste über Kopenhagen nach Hause. Dort begegnete sie einem dänischen Künstler und hatte eine kurze Affäre, bis Hitlers Soldaten plötzlich in den Straßen Kopenhagens auftauchten.
    Als Torun in Schweden angekommen war, stellte sie fest, dass sie schwanger war. Sie erzählte mir, dass sie dem werdenden Vater, meinem dänischen Papa, mehrere Briefe schrieb. Das stimmtvielleicht sogar. Wie auch immer, er hat nie wieder von sich hören lassen.
    Ich wurde im Winter 1941 geboren, als die Welt von Angst verhüllt war. Torun lebte zu diesem Zeitpunkt in einem Stockholm, in dem alle Lichter gelöscht und alle Dinge rationiert waren. Sie irrte durch die Stadt, wohnte mal in Heimen für alleinstehende Mütter oder in engen Löchern, die von strengen Haus drachen vermietet wurden. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie, indem sie bei vornehmen Leuten in Östermalm putzen ging. Sie hatte weder Zeit zu malen, noch konnte sie sich die Materialien leisten.
    Das war bestimmt nicht leicht für sie. Ich weiß, dass es das nicht war.
    Als ich zum ersten Mal die Toten auf Åludden flüstern hörte, hatte ich keine Angst. Ich hatte bereits viel Schlimmeres erlebt.
    In einem der Sommer nach dem Krieg, ich bin sieben oder acht Jahre alt, habe ich eines Tages Schwierigkeiten beim Wasserlassen. Es tut fürchterlich weh. Torun meint, ich sei zu oft schwimmen gewesen, und geht mit mir zu einem bärtigen Arzt in einer der Hauptstraßen Stockholms. Der Arzt sei sehr nett, sagt meine Mutter. Kinder würde er nämlich fast umsonst behandeln.
    Der Arzt begrüßt mich sehr freundlich. Er ist alt, mindestens fünfzig, und trägt einen zerknitterten Kittel. Außerdem stinkt er nach Alkohol.
    Ich soll mich auf die Liege in seinem Behandlungszimmer legen. Da stinkt es auch nach Alkohol. Der Doktor zieht die Tür hinter sich zu.
    »Zieh mal dein Kleidchen hoch und entspann dich«, bittet er mich.
    Ich bin allein mit ihm. Er ist sehr vorsichtig und erst nach einer Weile zufriedengestellt.
    »Wenn du irgendjemandem davon erzählst, schicke ich dich in die Heilanstalt«, droht er und streichelt mir über den Kopf.
    Dann knöpft er seine Kittel wieder zu. Er schenkt mir eineKrone und begleitet mich hinaus zu Torun ins Wartezimmer. Meine Beine geben unter mir nach, und ich fühle mich noch elender als vorher, aber der Doktor beruhigt meine Mutter, dass kein Grund zur Sorge bestünde. Er verschreibt mir ein

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