Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
Vom Netzwerk:
»Was wäre, wenn man die Suppen statt mit Hefeextrakt mit was anderem würzt?«
    »Ach, und mit was bitte?«, keift Weber.
    Mit Chili oder Curry, will Karo sagen. Da fällt ihr gerade noch rechtzeitig Regel Nummer neun ihres Karriereratgebers ein: Formulieren Sie Vorschläge nicht allzu konkret, sonst werden Sie angreifbar. Wählen Sie Ihre Worte stets so, dass Ihr Kontrahent sich selbst um Konkretion bemühen muss. So gerät er in die Defensive. Also zuckt Karo die Achseln und sagt leichthin: »Vielleicht mit Würze?«
    Weber steht starr, blinzelt nervös.
    Die Steilfalten zwischen Westenbergers Augenbrauen vertiefen sich.
    »Die junge Kollegin hat, finde ich, einen interessanten Vorschlag gemacht«, sagt einer der Laboranten, der seine Gläser beiseitegeräumt, Mundschutz und Plastikhaube abgenommen hat. »Die Originalwürze von Herrn Hepp war sicher frei von Hefeextrakt und Aromastoffen. Sie wäre zumindest von der Akzeptanz der Verbrauchermedien her eine Alternative. Wir könnten prüfen, ob sie wieder als geschmacksgebende Basis infrage kommt.«
    Der Laborant ist maximal dreißig. Dunkle Löckchen, introvertierter Blick. Und was für einen sexy Dreitagebart er hat! Karo spürt eine lang nicht mehr gekannte Hitze in sich aufsteigen. Wie Justin Timberlake sieht er aus!
    »Schau mal einer an, unsere beiden Neuen«, witzelt Westenberger. »Die zeigen uns die Innovationen auf!«
    »Aber echter Gemüseextrakt käme zu teuer!« Webers Stimme kiekst.
    »Erst mal lassen wir den jungen Mann ein Exposé erstellen, dann werden wir die Produktionskosten veranschlagen!« Westenberger gewinnt erkennbar seine gute Laune wieder. »Zehn bis zwanzig Cent pro Packung würde der Konsument durchaus akzeptieren«, meint er.
    »Aber nur, wenn das Endprodukt geschmacklich dem Konsumenten besser schmeckt«, glaubt de Beer.
    »Und wenn die Kalorien stimmen«, rutscht es Karo heraus.
    Weber und Westenberger runzeln synchron die Stirn, de Beer fixiert die bauchigen Kappen seiner Lederhalbschuhe.
    Nur der schöne Laborant scheint ungerührt. »Die Kalorien«, sagt er und strahlt Karo an, »dürften gar kein Problem sein.«
     

2
WEGGETRETEN
    Jetzt fragen sie wieder nach deinen Rezepten, wie findest du das, Hermann? Suchen deine Aufzeichnungen überall, krempeln das Archiv um und um, fehlt noch, dass sie das Kontor auf den Kopf stellen. Ob es nicht einen geheimen Tresor gibt, wollen sie wissen. Sie haben wohl irgendwo vernommen, dass du deine Rezepte im Tresor verwahrtest. Du wusstest ja, was sie wert waren.
    Mein Gott Hermann, wie viele Jahre Arbeit hast du dafür gebraucht? Sechs? Sieben? Noch mehr? Aus frischen Gemüseabfällen eine Würze zu entwickeln, mit der selbst die Wassersuppen der Tagelöhner und Arbeitslosen so kräftigend gelingen sollten, als habe man Rindfleisch darin gekocht. Das war dein Ziel, dein hehres Ziel. Eine vegetarische Variante zu Liebigs Fleischextrakt sollte es werden, vor allem aber eine gehaltvolle Alternative zu Maggis brauner Plörre. Nicht nur Geschmack, auch Substanz sollte Hepps Gemüsebouillon vorweisen. Dafür hast du gearbeitet. So viele Jahre!
    Weißt du noch, die Laube? Damals war sie von lauter Blumenbeeten umgeben. Du hattest dir ein Versuchslabor darin eingerichtet. Zwischen die Düfte von Rosen, Lavendel und Jasmin mischten sich Schwaden von Rauch und Essensdämpfen. Zwiebel, Sellerie, Petersilienwurzel, Thymian … Nicht immer roch es angenehm. Die Eltern, die Geschwister nahmen keinen Anstoß. Im Gegenteil, sie waren neugierig auf das, was in dem zerbeulten alten Kochgeschirr auf dem Herd vor sich hin brodelte. Wenn die Töpfe schepperten, sich die Deckel vom Dampf hoben und Flüssigkeit austrat, sodass es auf der heißen Platte zischte, dann äugten alle durch die vom Dunst beschlagenen Scheiben und sahen dich, wie du mittendrin standst, Hermann, umnebelt, mit glühenden Wangen und an der Stirn klebenden Haaren. Unser Herr Vater ahnte damals schon, dass ein Geschäft damit zu machen wäre, wenn, ja wenn du Erfolg hättest. Es waren die seltenen Momente in deinem Leben, in denen er ein wenig Respekt vor dir hatte – ein wenig Respekt.
    Du warst schon fast dreißig. Hast dich längst nicht mehr von ihm beeindrucken lassen. Wolltest weder ihn noch andere wirklich teilhaben lassen an deinen Experimenten. Ein Schild hast du an der Tür angebracht. Betreten verboten. Unkundigen droht Lebensgefahr – mit drei Ausrufezeichen dahinter . Das war natürlich übertrieben. Doch die Worte erfüllten

Weitere Kostenlose Bücher