Neben Der Spur
ihren Zweck, denn sie hielten sogar unsere Großeltern auf Distanz, die deine Versuche eine Sünde und Gotteslästerung nannten und das Gartenhäuschen am liebsten ausräumen und verschließen lassen wollten. So aber begnügten sie sich damit, dich täglich in ihr Gebet einzuschließen.
Und dein Rezept gelang. Ja, es gelang! Hepps Gemüsebouillon schmeckte nicht nur hervorragend. Sie enthielt auch wertvolle Vitalstoffe, wie dir das Reichsministerium für Ernährung bestätigte. Max Otto Bruker und Werner Kollath kamen, um die Sensation zu begutachten. Und die Versuche mit Kranken zeigten, dass die nach Vorschrift bereitete Bouillon selbst Todkranken eine gewisse Linderung und Kräftigung brachte.
Immerhin hat dein Inventar den Krieg überstanden. Doch was bekamen wir, um die Kessel zu füllen? Nur Reste vom Acker, Hermann, altes überlagertes, verschmutztes, zum Teil verwelktes, sogar schimmelndes Gemüse. Biologisch angebaut? Ha, wer hätte das je prüfen können, damals! Dass mit den erdverkrusteten Würzelchen kein guter Geschmack zu machen war und wir die Maggi-Würze en gros einkaufen mussten, um Hepps Gemüsebouillon wieder halbwegs so schmecken zu lassen wie vordem – schweig darüber!
Später musste man alles billiger und billiger produzieren. Die meisten setzten auf Chemie, die Hepps auf Hefe. Beziehungsweise auf das, was von der Hefe übrig bleibt, wenn man sie autolysiert, abfiltert … Dein Rezept aus der Anfangszeit hat keinen mehr interessiert. Zu teuer, zu aufwendig, hieß es.
Hat nicht neulich im Radio jemand die künstlichen Würzen in Zusammenhang mit Alzheimer gebracht? Ein Professor aus Heidelberg. Ha! Dann willkommen Alzheimer! Ich habe jahrzehntelang anstelle von Hepps Gemüsebrühe leidigen Hefeextrakt genossen. Ich weiß nichts mehr, gar nichts mehr weiß ich.
Gegen diesen Geruch kommt kein Mittel an. Nicht die elektrischen Luftentfeuchter, die Hans-Bernward de Beer vor Jahren hat installieren lassen, nicht die erst kürzlich modernisierte Belüftungsanlage. Nicht einmal diese markante Aromamischung namens Lebensfreude, die Bärbel Fried, in mehrere Duftstein-Rosetten eingespeist, überall verteilt hat! Der Staub von zwanzig Jahren ist mit der Wandfeuchte des Souterrains eine unlösbare und vor sich hin miefende Verbindung eingegangen. – Ja, zwei Jahrzehnte ist es wohl her, dass das Archiv auf Wunsch des Seniors aus dem Wohnhaus der Familie ins Souterrain des Firmengebäudes umgezogen ist.
Hans-Bernward hasst diesen Geruch, doch er kommt nicht umhin, sich heute für Stunden damit zu umgeben. Frau Rosenkranz und er haben die Aufgabe erhalten, Hermann Hepps Aufzeichnungen aus den Jahren 1940 bis 1943 im Werksarchiv zu suchen. Die junge Kollegin geht die Sache mit einem für de Beer wenig nachvollziehbaren Schwung an. Weder der Mief scheint sie zu stören noch der lose Staub auf den Büchern, Ordnern und Foldern, der die Fingerkuppen grau und pelzig werden lässt. Nicht einmal die vor lauter Flugrost quietschenden Ordnerscharniere scheinen an ihren Nerven zu sägen. Beherzt greift sie in die endlosen Regale, sichtet, in orthopädisch fragwürdiger Haltung an einem winzigen Beistelltisch hockend, das uralte Papier.
»Warum eigentlich nur die Jahre 40 bis 43?«, fragt sie mit bedauerndem Unterton.
Es geht nichts über die Begeisterungsfähigkeit der Jugend! Vielleicht sollte de Beer seine Kollegin öfter zum Aufräumen hinunterschicken. Insbesondere der Briefwechsel mit dem Bundesverband Naturkost und Naturwaren aus den Neunzigerjahren wartet noch darauf, sortiert, gelocht und abgeheftet zu werden. Dann hätte Hans-Bernward die allzu engagierte junge Frau bei den aktuellen Angelegenheiten aus den Füßen.
»Warum nur die paar Jahre?«, insistiert sie erneut und blickt aus ihrer Katzenbuckelhaltung zu ihm herauf.
Hans-Bernward schiebt sich die Lesebrille auf die Stirn und wischt seine Hände mit einem Papiertaschentuch notdürftig sauber. Weil die Chefin es so angeordnet hat. Und weil man froh sein kann, wenn man die drei Jahre betreffenden sechs Regalreihen durchhat, will Hans-Bernward antworten, besinnt sich aber rasch auf eine andere Erklärung. »Der Senior wurde im Jahr 43 in eine Nervenklinik eingewiesen, dann in die Schweiz überführt. Und kam erst 46 wieder nach Hause. Wussten Sie das nicht?«
»Wusste ich wohl! Aber was ist mit vor 1940? Und nach 46?«
»Frau Hepp sagt, es sei unwahrscheinlich, in älteren oder neueren Ordnern etwas Brauchbares zu entdecken. Aber sie
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