Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
Vom Netzwerk:
Händen durch den wie eh und je strubbeligen Schopf und schaut zu Boden.
    Dieser Bruss streicht über sein unrasiertes Kinn. »Sie sehen auch mit grauen Haaren hübsch aus!«
    Hans-Bernward traut seinen Ohren nicht. Man flirtet nicht, wenn Dritte im Raum sind! – Impertinent, dieser Mensch! Und offenkundig ein Schwerenöter. Die arme kleine Rosenkranz, sie scheint völlig verwirrt. Sie schweigt, errötet, ihre Augen leuchten wie grüne Ampeln. Und Hans-Bernwards Ohren beginnen zu sirren. Ist das wieder sein Tinnitus? Oder wandelt – wie Bärbel Fried in solchen Fällen behauptet – ein Engel durch den Raum? Hans-Bernward beschließt, die Toilette aufzusuchen.
     
    Gäbe es homöopathische Globuli gegen chronisches Überengagement oder überhaupt eine probate Arznei, Gudrun würde sie allzu gern Frau Fried anempfehlen. Da steht sie wieder einmal ohne Vorwarnung in der Türe zum Wohnhaus, trotz des Nieselregens und trotz Gudruns Wunsch, nur in dringenden Angelegenheiten gestört werden zu wollen. Mit vor Eifer glühenden Wangen plappert die Personalbeauftragte drauflos, eine Aktenhülle aus Recyclingpappe unter den angewinkelten linken Arm gepresst, mit der anderen Hand einen Regenschirm umklammernd, der sowohl ihre Mähne als auch das wertvolle Transportgut vor Nässe schützen soll.
    Natürlich muss Gudrun sie hereinbitten, obwohl sie dringend den Fingersatz im dritten Satz von Griegs Klavierkonzert überarbeiten muss. Doch vielleicht genügt Frau Fried ja ein Stehempfang im Flur.
    »Heut is eine Mail von unserm Valentin gekomme«, verkündet sie in bemühtem Hochdeutsch, zieht einen Papierbogen aus ihrem Folder. Dies sei am frühen Morgen im Postfach von dem Herrn Westenberger eingetroffen, und zwar mitsamt »einem liewe Gruß an die Mitarweider – und nadürlich ganz besonners an die Frau Hepp«. Und der Herr Westenberger hätte telefonisch gebeten, die Nachricht in Kopie an die Frau Hepp weiterzureichen.
    Gudrun lächelt so begütigend, wie ihre Ungeduld es zulässt, will äußern, dass Frau Fried doch in derartigen Fällen auch die probate Weiterleitungsfunktion des firmeneigenen Mailsystems nutzen könne, anstatt sich durch den Nieselregen eigens herzubemühen …
    Frau Fried hat indes schon angehoben, den Mailtext laut vorzutragen:
     
    Ich genieße das schöne Wetter und die Landschaft sehr, auch wenn der Marsch wie erwartet anstrengend ist. Ein Wegbegleiter, ein Theologiestudent aus Berlin, mit dem ich mich dieser Tage angefreundet habe, hat neulich das anliegende Foto aufgenommen, als ich auf einer Bank vor Müdigkeit eingeschlafen bin …
     
    Frau Fried hat es sich nicht nehmen lassen, einen verwischten semicolorierten Auswurf ihres betagten, aber mit dem blauen Engel ausgezeichneten Tintenstrahldruckers auf Recyclingpapier mitzubringen. Das Bild zeigt Valentin in Jeans und T-Shirt auf einer Holzbank, zusammengesunken und an seinen Rucksack gelehnt. Eine Gudrun bislang unbekannte Schirmmütze beschattet seine Augen, die Arme hängen schlaff herab.
    »E lusdisches Foddo hat de Valentin mitgeschickt, gell«, freut sich Frau Fried.
    Ein eher peinliches Foto, befindet Gudrun im Stillen. Seit wann lässt Valentin sich in solch würdeloser Haltung ablichten? Und gibt das Ergebnis auch noch zum Besten? Sie nimmt den Computerausdruck entgegen, betrachtet die Einzelheiten, während Frau Fried mit der Intonation heftigen Mitleids weiter vorträgt:
     
    Aber leider habe ich mir gestern Abend den Fuß verstaucht und muss hier bei Burgos eine Pause einlegen, sodass sich meine Tour wohl etwas in die Länge zieht. Sonst geht es mir gut und ich hoffe, dass auch bei Euch alles in Ordnung ist. Euer Valentin
     
    Da ist es wieder, das Euer! Dieses Possessivpronomen, das Valentin in seinen Mails, Postkarten oder Briefen eher vermeidet. Es sei uncool und kitschig, befindet er.
    Gudrun erhält keine Chance, lange darüber zu sinnieren, denn Frau Fried stimmt gerade eine Arie darüber an, was für ein »liewer Bub« der Valentin immer gewesen sei, eine Familienanekdote nach der anderen packt sie aus, um zu belegen, dass er ja doch besonderer Zuwendung wert sei. Und sie könne das beurteilen, weil sie selbst drei Kinder großgezogen habe.
    Ist da ein Vorwurf in ihrem Blick, ihrer Stimme? Gudrun fühlt sich unangenehm berührt. Schuldgefühle, dem »liewe Bub« von Anbeginn an nicht genug Zuwendung entgegengebracht zu haben, quälen sie ohnehin. Doch das muss niemand wissen. Also nickt sie verständnisinnig, hütet sich, Frau

Weitere Kostenlose Bücher