Neben Der Spur
wird kaum etwas dagegen haben, wenn Sie anderswo weitersuchen, im Fall, dass wir hier nichts finden«, erklärt er in der Hoffnung, dass sich die Diskussion damit erschöpft hat.
Was nicht der Fall ist. Die Rosenkranz reckt sich, lehnt sich auf ihrem Holzstühlchen zurück und starrt nachdenklich herüber. »Wieso hat man diese wertvollen Rezepte nicht gesondert verwahrt?«
»Eine gute Frage!« Er fährt sich mit dem Handrücken über das verstaubte Gesicht. Hätte man nämlich auf seine Mutter gehört, würden die Originalrezepte des Seniors mitnichten in staubigen Aktenordnern im Keller schlummern. Man hätte sie, ordentlich präpariert, in sauberen Vitrinen der Öffentlichkeit präsentiert, zusammen mit einigen Fotos von damals: der geniale junge Hermann Hepp vor seiner Laube, die vollständige Familie fleißig jätend und erntend inmitten der Gemüsebeete, alles anschaulich, die Zeit dokumentierend … Ja, ein kleines Museum hatte Thekla de Beer, seinerzeit Sekretärin und Faktotum im Hause Hepp, angeregt. An einigen Tagen im Jahr hätte man es für Historiker, Journalisten, Neugierige öffnen können. Und eine Art Kompendium hätte man herausbringen können, schlicht und im Eigenverlag, bestellbar gegen eine geringfügige Schutzgebühr vielleicht.
Doch die Familie hat den Vorschlag vehement verworfen, insbesondere der Senior selbst soll dagegen gewesen sein. Mit ihm sei kein »Personenkult« zu machen, soll er verkündet haben. So hat es Thekla de Beer erzählt und dazu den Kopf geschüttelt. Nicht einmal den Ort des experimentträchtigen Geschehens, die Laube, hatten die Hepps erhalten wollen. Die wurde nach einem Brand gänzlich abgerissen, weil sie angeblich die Gartenarchitektur störte. Thekla de Beer dagegen befand, dass jede Form von Nischenkultur, die den Faschismus überdauert hatte – und Hermann Hepps Tätigkeit gehörte für sie ohne Frage dazu –, es auch wert war, dokumentiert zu werden. Selbst dann, wenn die Rezepturen schon in den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders als nicht mehr zeitgemäß galten.
Doch wozu soll Hans-Bernward das alles dieser dreisten Person erzählen, die ihre Nase nur zu gern in Angelegenheiten steckt, die sie nichts angehen? Zum Glück enthebt ihn ein Klopfen an der halb offenen Tür einer erschöpfenden Antwort.
»Hi«, sagt der Labormitarbeiter, dem man die lästige Suche der Originalrezepte überhaupt zu verdanken hat, und kommt auch schon hereingeschritten, ohne dass Hans-Bernward ihn auch nur mit einer Geste dazu eingeladen hätte. Diese ganze Generation erscheint ihm ungemein schlecht erzogen.
»Ich hatte neulich keine Gelegenheit, mich vorzustellen. Mein Name ist Rick Bruss.«
Die Neue schwebt auf ihn zu und reicht ihm eine schmutzige kleine Hand: »Karoline Rosenkranz.«
Sie lächeln sich an. Lange. Eins, zwei, drei Sekunden … Das Neonlicht scheint sich zu erwärmen.
Hans-Bernward wird heiß vor Peinlichkeit. Doch es gilt, in jeder Lebenslage die Form zu wahren. Er räuspert sich, reicht dem Eindringling seinerseits die Hand. »De Beer, angenehm. Sie sind gewiss nicht gekommen, um sich vorzustellen.«
Der Laborkollege – wie heißt er? Brass? Broll? – lacht, als habe Hans-Bernward einen Scherz gemacht. Er wolle nur melden, dass man alle Akten durchforstet habe, die im Labor selbst abgeheftet seien, sagt er. »Die ältesten Aufzeichnungen, die wir finden konnten, stammen aus dem Jahr 1947. Damals war schon Hefe vorgesehen, und zwar …«
»Gut, danke, dann müssen wir uns nur die Jahre davor vornehmen!«
»… und zwar in höherem Anteil als in späteren Produkten.«
»Aha«, sagt die Rosenkranz, an den Lippen dieses Schnösels hängend. Ihr Gehirn scheint immerhin leidlich zu arbeiten. Sie stellt eine Frage, die Hans-Bernward sich soeben selbst beantworten wollte: »Dann stammen diese neuen Rezepte nicht vom Senior. Der müsste doch damals noch in dem Schweizer Sanatorium gewesen sein, oder?«
Dazu gibt Hans-Bernward gern Auskunft: »Ganz offenkundig hatte Heinrich Hepp, also der Vater von Herrn Hepp, die breite Verwendung von Hefeextrakt bereits eingeleitet – was kein Wunder war. In der Nachkriegszeit war den Menschen alles recht, um die karge Kost schmackhaft zu machen.«
»Dann müssen wir hier weitersuchen. Vielleicht kann man Sie eine Weile freistellen, Herr Bruss?«, schlägt die Rosenkranz vor. »Es gibt eine Menge Papier und alles ist sehr staubig. Meine Haare sehen bestimmt schon ganz grau aus!« Sie fährt sich mit beiden
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