Neben Der Spur
marcato klappt jetzt viel besser. Ja, dann fliegt er! Ab mit ihm nach Cheb. Do-do-do-domm-domm …
Gudrun hat die Türklingel wohl ein paarmal überhört. Als sie öffnet, steht der Kommissar mit der zur Faust erhobenen Rechten da, als habe er gerade anklopfen wollen.
»Donnerwetter, Sie spielen ja richtig gut!«
»Danke.«
»Was war das?«
»Grieg.«
»Es klang so ergreifend, dass ich hätte weinen mögen.«
»Ergreifend?«
»Ich störe Sie ungern.«
»Ich weiß.« Gudrun will sich keinesfalls anmerken lassen, wie genervt sie ist. Zumal der Kommissar allzu ernst dreinblickt. »Nehmen Sie bitte Platz, Herr, äh – «
Er wiederholt seinen unaussprechlichen Namen und erklärt fast feierlich, dass die bisherigen Recherchen unter früherem Werkspersonal nicht ergiebig waren.
Gudrun hält den Atem an. Der Gedanke, dass der Bombenleger nicht einmal im Visier der Polizei ist, mag beunruhigend sein. Noch beunruhigender ist der Verdacht, den der Kommissar prompt antippt: Im Tierschützermilieu habe man zwei Personen ohne Alibi gefunden, die sich außerdem durch widersprüchliche Aussagen verdächtig gemacht hätten. »Allerdings …«, der Kommissar ringt die Hände, schaut Gudrun aufmerksam in die Augen. »Beide beschuldigen Ihren Großneffen Valentin.«
Gudrun gibt sich gelassen. »Aber er ist doch in Spanien. Sehen Sie mal!« Sie überreicht ihm Frau Frieds Mail- und Fotoausdruck.
Der Kommissar lächelt gütig wie ein Pastor beim Abendmahl. »Die Originalmail bitte ich Sie, keinesfalls zu löschen!«
»Ich werde es veranlassen.«
»Trotzdem müssen wir Ihren Neffen persönlich befragen. Ich hoffe, Sie verstehen das. Bitten Sie ihn, die nächste Maschine nach Hause zu nehmen. Wenn er per Handy nicht erreichbar ist, richten Sie ihm per Mail aus, dass wir ihn sprechen wollen.«
»Ich werde es veranlassen«, wiederholt Gudrun, öffnet dem Kommissar die Tür.
Kaum dass er draußen ist, schlägt sie die Hände vors Gesicht und winselt kaum verhaltener als die seit Tagen wieder einmal darmkranke Trixi.
Valentin erwacht, als vier starke Arme nach ihm greifen, ihn behutsam von seinem Lager ziehen, ihm Fesseln und Augenbinde abnehmen, zu einem Krankenwagen führen. Ja, eine Art Krankenwagen ist das. Erleichterung steigt in ihm auf. Jetzt wird alles gut. Ein Blick zurück offenbart, wo er eingesperrt war: in einem abgewrackten Baucontainer inmitten eines Schrottplatzes.
Aber wo ist Rolf? Was haben die Entführer mit Rolf gemacht? Und wo ist Valentins Rucksack mit seinem Ausweis, seinem Handy? Wo ist seine Brille? Ohne Brille kann er nicht gut sehen.
Die Männer reden wenig. Und ausländisch. Er versteht kein Wort. Auch warum seine Beine so lahmen, versteht er nicht. Und warum seine Zunge sich so aufbläht, dass sie im Unterkiefer festzustecken scheint. Er will den Männern danken, will sie fragen, wie die nächste Stadt heißt, doch er bringt nur ein gedehntes Lallen heraus und die kleinste Geste löst eine Schwindelattacke aus. Eine Droge! Sicher hat er eine Droge intus, die die Entführer ihm gespritzt oder ins Essen getan haben. Zum Beispiel in die Kartoffelsuppe, die Valentin nicht essen mochte, weil Speckstücke darin schwammen. Und die er dann aber aß, bis auf den letzten Rest auslöffelte, als der Hunger übermächtig wurde und die Suppe zu schimmeln begann. Man hatte ihm tagelang nichts anderes gebracht als Wasser, Brot und diese Suppe. Vor Ekel würgen hätte er können, als er die Fäule auf seiner Zunge wahrnahm, als der schleimige Speck seinen Schlund hinabglitt. Doch sein Magen hatte alles behalten.
Vorbei! Er lebt! Die Wirkung der komischen Droge wird nachlassen, bald.
Die beiden Männer umhüllen ihn mit einer Filzdecke, setzen ihn auf einen Polstersitz in der hinteren Reihe, schnallen ihn an. Die Fahrt beginnt. Eine Fahrt in gemäßigtem Tempo, bei der Valentins Kopf, an die Stütze gelehnt, angenehm hin- und herschaukelt. Sanfte Hügel ziehen vorbei, fast wie zu Hause in Rheinhessen sieht es hier aus. Nur dass es mehr grünes Brachland gibt. Und kleinere Dörfer. Valentin schläft ein.
Schläft, bis er unangenehm in eine Kurve gedrückt wird. Wieder und wieder. Felswände und struppiges Gebüsch säumen die Straße. Ein Ortsschild taucht auf, das Valentin ohne Brille nicht entziffern kann.
Egal, diese Männer werden ihn in ein Krankenhaus bringen, wo er untersucht wird, wo ihm geholfen wird, wo man das Gift aus seinem Körper holt. Dann wird er reden. – Was reden?
Er versucht, die
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