Neben Der Spur
gepflegt und sauber« … gepflegt … sauber. Den Kranken werde mit Geduld begegnet, so erzählte die Mutter. An ihrem Besuchstag, da habe sie miterlebt, wie einer der Insassen laut wurde, wie er getobt und geschrien habe, Hitler sei wahnsinnig, Göring sei wahnsinnig, das Land werde von Wahnsinnigen regiert. Worauf die Schwestern nur gelächelt, den armen Mann mit einem Tee versorgt und zu Bett gebracht hätten.
Dass das Morden hinter den sauberen, gepflegten Kulissen weiterging, noch ärger als zuvor, nur jetzt nicht mehr mit giftigen Gasen, sondern mit Medikamenten, die sie an euch ausprobiert haben … um euch dann … wenn man euch das Leiden ansah, die finale Spritze …
So viele wart ihr, dass die Administration im Land nicht mehr nachkam. Todesanzeigen hat man verschickt von Insassen, die noch lebten, Besuchserlaubnis erteilt für die, die tot waren. Urnen hat man präsentiert mit viel zu viel Asche für einen einzigen Toten. Die Schergen taten sich leichter damit, die Lebenden hinter ihren sauberen, gepflegten Anstaltsmauern verschwinden zu lassen, als später all die vielen Toten korrekt in ihren Listen zu führen …
Als wir endlich aus den Zeitungen erfuhren, was mit euch geschehen war, wie die Nazis ihr Euthanasieprogramm kaum vermindert fortgesetzt hatten, da hatte man mir deine neue Kennkarte schon in die Hand gedrückt, Hermann. Und ich musste dein Grab ignorieren, meine Trauer verbergen, mein ganzes Entsetzen über das, was mit dir geschehen ist, für mich behalten … so lange jetzt schon.
Du solltest keinen Cognac trinken. Gudrun schimpft … Heute ist dein Todestag, Hermann … dein Todestag … Prosit, mein Bruder!
Rick schafft sich ab und Karo starrt zur Decke, schnauft mechanisch. Ganz wie in einschlägigen Ehekarikaturen.
Er rollt sich auf den Rücken. »Du denkst an was anderes. Merk ich doch. «
»Nicht so wichtig.« Sie streichelt sein Gesicht.
»Offenbar schon. Erzähl’s mir jetzt, los! Sonst schlaf ich lieber zu Hause.«
Die Drohung wirkt. Karo druckst rum, erzählt erst mal nur die Hälfte: von Valentin Hepp und seiner seltsamen Nachricht auf de Beers Anrufbeantworter, von de Beers Aufbruch, nicht etwa zum Jakobsweg, wo alle den Jungen vermuten, sondern nach Cheb, wie Karo mit Mühe rausgefunden hat.
Rick hört sich alles an, lächelt. »Du bist mir ja ein Herzchen!«
›Herzchen‹? Karo ist beleidigt und schweigt.
»Hör mal, lass de Beer einfach machen, was er für richtig hält! Der ist doch erwachsen.«
»Aber er wollte spätestens heute Mittag zurück sein. Und gemeldet hat er sich auch nicht.«
»Warum soll er sich melden? Bloß weil er einen Tag länger braucht als geplant? – ›Liebe Frau Rosenkranz, bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Wird nicht wieder vorkommen …‹ Soll er dir so was simsen?« Rick stöhnt und es klingt nicht gerade, als verzehre er sich nach ihr.
Und so packt sie den zweiten Teil der Geschichte aus: Die von ihr erfundene Redaktionsanfrage wegen einer obskuren Chemikalie in der Zwiebelsuppe. Und dass das de Beer hätte alarmieren müssen. »Außerdem«, sagt sie und macht eine Kunstpause, »vermisst ihn sogar die Chefin.«
»Und da vermutest du …«
»… dass in Cheb was faul ist, ja! Und ich wäre eine schlechte Reporterin, wenn ich nicht rausfinden wollte, was.«
Ricks Augen werden schmal. »Komisch, dass ich erst jetzt davon erfahre. Hast mir den ganzen Tag Theater vorgemacht, von wegen, ›Ich hab’s eilig‹, ›Muss de Beer vertreten‹, ›Das Knie tut mir weh …‹ Du hast mir wohl auch den Orgasmus gestern Nacht bloß vorgespielt.«
»Quatsch«, sagt Karo. »Du warst toll. Ehrenwort!«
Rick grinst, küsst ihren Busen. »Und was will die Enthüllungsjournalistin Karoline Rosenkranz jetzt unternehmen? Wenn zwei Männer in Cheb spurlos verschwinden, ist die Sache vielleicht nicht nur faul, sondern auch gefährlich.«
Karo tut, als habe sie den Spott in seiner Stimme nicht bemerkt. »Wenn ich die Polizei in Mainz verständige, hängt sich mein Exkollege Alex dran und bekommt die Story. Aber wenn ich selbst nach Cheb fahre, die Lage peile und die Polizei vor Ort anrufe, bleibt es meine Entdeckung.«
»Verstehe«, sagt Rick und verschränkt die Arme vor der Brust. »Aber, damit du’s weißt: Ich fahre mit. Oder hast du Angst, auch ich könnte dir die Story klauen?«
Karo schüttelt den Kopf und drückt ihm einen Kuss auf.
»Okay, morgen früh kann’s meinetwegen losgehen«, sagt Rick, »auch wenn ich wahrhaftig
Weitere Kostenlose Bücher