Nebenan: Roman
glaube nicht, dass ich es erstrebenswert finde, so zu werden wie ihr oder irgendwelche anderen Menschen! Was meinst du, Birgel?«
»Ich hab Angst … Hast du gerade dieses Geräusch gehört?«
»Seid alle still!«, kommandierte Wallerich.
Ein schwerfälliges Schlurfen war zu hören. Mal schien es weit fort zu sein und dann im nächsten Augenblick wieder ganz nah.
»Was ist das?«, flüsterte Gabriela.
»Keine Ahnung.« Wallerich verkürzte den Docht in seiner Laterne, sodass kaum mehr als ein Funken Glut blieb. »Es kommt vor, dass jemand auf dem Weg zwischen den Welten verschwindet. Zugegeben, es sind meistens berüchtigte Trunkenbolde, die verloren gehen, aber manchmal …«
»Ist es denn noch weit?«, fragte Till.
»Kann man nicht sagen. Meistens genügt ein Schritt und man ist Nebenan . Aber bisweilen ist es auch ein Fußmarsch von einer ganzen Nacht.«
Der Geruch nach Ziegendung wurde immer stärker. Ab und an trat Till auf etwas Weiches, traute sich aber nicht zu fragen, was es wohl sein mochte. Die Finsternis nahm ihm jedes Zeitgefühl. Er hätte nicht sagen können, ob sie erst zehn Minuten oder schon eine Stunde unterwegs waren. Die schlurfenden Geräusche waren seit einer Weile nicht mehr zu hören.
Schweigend hing jeder seinen Gedanken nach und es mochte noch einmal eine halbe Stunde oder mehr vergangen sein, als weit vor ihnen ein winziger Lichtpunkt erschien. Birgel stieß einen Seufzer aus und holte sich eine der Würste aus seinem Rucksack, denn immer wenn er sich erleichtert fühlte, wurde er zugleich auch hungrig.
Nicht weit vor ihnen waren die Umrisse eines Tores zu erkennen, das ganz ähnlich wie jenes in der Höhle unter der Universität aussah. Dort, wo über dem Boden die beiden Torflügel zusammenstießen, gab es eine kleine Lücke, nicht größer als ein Mauseloch. Helles Licht fiel durch die Öffnung.
Als sie nur noch wenige Schritte vom Tor entfernt waren, schwang es lautlos auf. Eine Frau, so klein wie ein Heinzelmann, stand in dem großen Portal. Sie trug ein schlichtes, grünes Kleid und hatte zwei dicke, silberweiße Zöpfe. Die Hände in die Hüften gestützt, schnitt sie eine säuerliche Grimasse.
»Seit über einer Stunde stehe ich hier und warte auf euch! Du weißt, dass ich so was auf den Tod nicht ausstehen kann, Wallerich. Ich begreife auch nicht, warum Laller ausgerechnet dich Nichtsnutz und deinen verfressenen Freund für diese Mission ausgesucht hat! Jetzt steht nicht länger in dem Tor herum und haltet Maulaffen feil! Kommt endlich rein, wir haben ein köstliches, aber mittlerweile kaltes Nachtmahl für euch vorbereitet.«
Wallerich hatte seine Mütze abgenommen und drehte sie verlegen zwischen den Fingern. »Du bist zu freundlich, Mozzabella. Ich verspreche dir, es wird nicht wieder vorkommen.«
Die kleine Frau schnaubte verächtlich. »Deine Versprechen kenne ich, Wallerich. Du bist keinen Deut besser als Nöhrgel, als er noch jung war. Mich wundert es nicht, dass er ausgerechnet dich zu seinem Liebling auserkoren hat. Du hättest ihn einmal vor dreihundert Jahren erleben sollen … Aber, vergessen wir das! Die Langen , die du mitbringst, sehen ja herzallerliebst aus. Diese rosa Umhänge waren wohl Luigis Idee.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, ihr habt denen wenigstens erklärt, was sie hier erwartet. Glaubt ihr, die Dunklen werden sich bei ihrem Anblick totlachen?«
»Glaub mir, wir haben alles gut durchdacht …«
Sie schnitt ihm mit einer abrupten Handbewegung das Wort ab. »Kommt jetzt mit, wir wollen das Essen nicht mehr länger warten lassen. Es sind auch Quartiere für euch bereitet. Und zum ersten Hahnenschrei verschwindet ihr wieder. Dass ihr Ärger anziehen werdet, das kann man geradezu riechen.«
»Wer ist das?«, flüsterte Till zu Birgel.
»Mozzabella ist die Älteste unter den Heinzelfrauen. Sie ist hier die Chefin. Es heißt, sie sei vor langer Zeit einmal mit Nöhrgel liiert gewesen …«
»Heinzelfrauen?«, fragte Till ungläubig.
»He, Langer , du musst nicht glauben, weil ich weiße Haare habe, würde ich nicht mehr hören, was hinter meinem Rücken getuschelt wird.« Mozzabella drehte sich um und sah ihn spöttisch an. »Was glaubst du denn, woher das faule Heinzelmännerpack in deiner Welt kommt? Lernt man in euren Schulen denn gar nichts mehr? Und was dich angeht, Birgel, würde ich dir dringend raten, keinen alten Tratsch herumzuerzählen.«
Die Heinzelfrau führte sie in eine kleinere Höhle, in der sich etliche Ziegen
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