Nebenan: Roman
ein makelloses Gewand trägt, schön erscheinen.«
Gabriela atmete tief ein. Ihre Linke krampfte sich um den gae bolga.
»Ignoriere sie einfach«, sagte Oswald so laut, dass es auch die Schneekönigin hören konnte. »Mit ihr versteht sich niemand!«
Till griff nach einem der Trinkhörner auf dem Tisch. Der Wein darin war vollständig gefroren. Was für ein Empfang, dachte er und stellte das Horn zurück. Dann sah er zum Drachen hinüber, der die Ui Talchiu noch immer beobachtete. Als er Tills Blick bemerkte, hob er erneut die Lefzen zu einem Furcht erregenden Lächeln.
19
Nöhrgel lehnte sich im Autosessel zurück und beobachtete über den Bildschirm von Kamera sieben Schnapper. Die Möwe kauerte auf einem Mauersims und stierte ihrerseits zur Reibekuchenbude auf dem Bahnhofsvorplatz hinab. Es war bereits recht spät. Nur wenige Fahrgäste kamen noch durch das hell erleuchtete Portal des Hauptbahnhofs. Der Besitzer des Imbisses begann bereits die Kochplatten zu säubern und die letzten Kölschstangen zu spülen.
Der Heinzelmann fluchte. Wenn nicht bald etwas geschah, wäre er um sein Abendessen gebracht! Mit einem Blick auf einen Monitor, auf dem die letzten Analysen des Wahrscheinlichkeitskalkulators blinkten, beruhigte er sich wieder.
+++ Die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls durch Geschöpfe von Nebenan auf den Kölner Dom beträgt in dieser Nacht 95,7789534 Prozent. +++
Nöhrgel drehte schmunzelnd sein linkes Schnauzbartende zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenigstens auf Cagliostro konnte man sich verlassen. Ihn bei seinen vergeblichen Angriffen auf den Dom zu beobachten war ein Vergnügen, das über die Mühsal jeder Nachtwache hinwegtröstete. Wenn nur endlich Schnapper seinen Auftrag erledigen würde!
Ungeduldig sah Nöhrgel erneut zu den Monitoren der Überwachungskameras. Die Möwe beugte sich vor. Sie schien etwas gesehen zu haben! Dann ließ sie sich von ihrem Mauersims fallen, um mit angelegten Flügeln im Sturzflug auf die Reibekuchenbude loszugehen oder besser gesagt auf den letzten Kunden, der sich dort eingefunden hatte. Es war eine junge Frau mit langen roten Haaren. Nöhrgel hämmerte auf der Tastatur seines Rechners herum und das Bild einer Rothaarigen erschien. Sie war die Gefährtin Cagliostros! Grinsend rieb sich der alte Heinzelmann die Hände. Alles lief, wie er es erwartet hatte.
Schnapper breitete indessen die Flügel aus, um den Sturzflug abzubremsen. Die Rothaarige blickte erschrocken hoch, als sie den schrillen Schrei der Möwe unmittelbar hinter sich hörte. Die Krallen des Vogels gruben sich tief in ihren fetttriefenden Reibekuchen, dann stieg er mit seiner Beute in steiler Kurve dem Himmel entgegen.
Nöhrgel kurbelte das Seitenfenster herunter, damit Schnapper ihm sein Nachtmahl vorbeibringen konnte.
»Ungewöhnliche Aktivitäten an der Treppe, die neben der Parkhauseinfahrt auf das Domplateau führt«, verkündete der Rechner mit der Stimme Sharon Stones.
»Ja, ja«, brummte der Heinzelmann und beugte sich aus dem Wagenfenster, um zu sehen, wo Schnapper blieb. »Ich weiß schon, unser Perückenfurzer Cagliostro bereitet seine nächste Niederlage vor.«
Schnapper landete im Fensterrahmen der Autotür. Der Reibekuchen zwischen seinen Krallen sah ungewöhnlich klein aus.
»Sag mal, kann es sein, dass du irgendwo eine Zwischenlandung gemacht hast, um dir schon mal den Bauch voll zu schlagen?«, fragte Nöhrgel skeptisch und teilte den Rest der Beute in zwei ungefähr gleich große Stücke.
»Nö! Bei den ungelegten Eiern meiner Brut, wie kannst du nur so was von mir denken!«, entrüstete sich die Möwe.
»Unidentifiziertes Fahrzeug nähert sich dem Domportal!«, verkündete die rauchige Computerstimme.
»Nicht das schon wieder!« Nöhrgel schob sich den letzten Bissen Reibekuchen in den Mund und wischte sich die fettigen Finger an seiner Hose ab. »Ich hätte dich wirklich für einfallsreicher gehalten, Cagli.« Der Heinzelmann tastete nach der Fernbedienung für die Stereoanlage und schaltete den Ton ab. Als er zu den Monitoren aufblickte, sah er gerade noch etwas Großes, Olivgrünes zwischen den zersplitterten Toren des Hauptportals verschwinden.
*
Der schwere Panzerwagen rammte ein Becken mit Weihwasser und kam unmittelbar vor der hintersten Reihe mit Sitzbänken zum Stehen. Der Erlkönig beugte sich vor, um besser sehen zu können. Für ein Bauwerk von Menschenhand war der Dom wahrlich eindrucksvoll. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich über den Kerzen, die
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