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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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seine eingefallenen Nasenlöcher, so als wolle er wie ein Jagdhund Witterung aufnehmen.
    »Ich hab ein paar Freunde mitgebracht, Erik. Ich bin sicher, sie sind hier gern gesehene Gäste. In Irland haben sie jedenfalls einen verdammt schlechten Ruf. Du siehst übrigens auch ganz schön übel aus. Mir scheint, du machst Fortschritte.«
    »Findest du wirklich?« Der Wächter schenkte Oswald ein zahnloses Lächeln. »Dabei sind bei diesem verdammten Mistwetter fast alle meine Maden eingegangen. Wenn nicht bald mal wieder die Sonne herauskommt, wird es noch ewig dauern, bis ich ganz verrottet bin und endlich zum Geist werde.«
    »Glaub mir, wenn wir erst wieder die Tore kontrollieren und in die Welt der Menschen können, wird alles besser, mein Alter. In den Städten drüben gibt es riesige Tunnel, in denen lange Wagen fahren. Die haben sogar Öfen in diesen Wagen. Man kann sich da einfach hineinsetzen und stundenlang mit ihnen herumfahren.«
    Der Wächter lehnte seinen Speer an die Palisade und nestelte gedankenverloren an einem Hautfetzen, der von seiner Backe hing. »Das hört sich himmlisch an. In einem Wagen sitzen, sich die Gegend anschauen und in aller Ruhe verrotten …«
    »Dürfen wir durch?«
    Der Wächter nickte, wobei die Axt in seinem Schädel wippte, als wolle sie jeden Moment aus der grässlichen Wunde fallen. »Wenn es so weit ist, dass wir wieder rüber zu den Menschen gehen, holst du mich ab, um mir diese wunderlichen Wagen zu zeigen?«
    »Versprochen«, sagte Oswald und winkte den anderen auf den Hof hinter der Palisade zu reiten.
    Der Innenhof war verwaist. Hier und da zeichneten sich flache Hügel unter der Schneedecke ab und Till fragte sich, ob es wohl noch mehr Wachen wie Erik gab.
    An der Südseite der Palisade lehnte ein langer, baufälliger Stall. Dort brachten sie die Pferde unter und gingen dann zu einer weiten Höhlenöffnung, die halb unter dem Felsüberhang und hinter funkelnden Eiszapfen verborgen lag. Offensichtlich kannte sich Oswald hier bestens aus.
    Till hatte unbewusst die Rechte auf den Schwertgriff sinken lassen. Konnten sie dem Ritter trauen? Wallerich hatte den Wolkensteiner nicht gemocht. Was wusste der Heinzelmann über ihn? Auf der anderen Seite, wen mochte Wallerich schon!
    Der Fels über dem Höhleneingang war schwarz vor Ruß. Die matte Wintersonne stand schon tief am Horizont. Rötliches Licht spiegelte sich auf den Eiszapfen. Als sie in die Höhle eintraten, stand ihnen der Atem in weißen Wolken vor den Mündern. Hier drinnen schien es noch kälter zu sein als draußen.
    Vor ihnen lag ein natürlicher Gang, den man an einer Seite künstlich verbreitert hatte. Er war groß genug, dass ein Kutschwagen hindurchgepasst hätte. Ein ganzes Stück voraus brannte eine einzelne Fackel. In der Ferne hörte man Stimmengemurmel.
    Als sie dem flackernden Lichtfleck entgegengingen, pfiff der Wind durch die Eiszapfen am Höhleneingang und eine unbeschreiblich schöne, zugleich aber auch bedrückende Tonfolge erklang.
    »Das nennt man Äolsharfe«, flüsterte Martin. »Hat alles eine ganz natürliche Erklärung.«
    Till war der festen Überzeugung, dass aus natürlichen Erklärungen in dieser Welt fast zwangsläufig lebensgefährliche Irrtümer resultierten. Aber das war nicht der Ort, um Diskussionen anzufangen. Mit der Linken tastete er unter seinem Wams nach dem Stein, den ihm Neriella mitgegeben hatte. Er fühlte sich angenehm warm an. Könnte er jetzt nur bei ihr sein!
    Nach vielleicht hundert Schritten machte der Tunnel eine scharfe Biegung nach links und erweiterte sich schließlich zu einer großen Höhle, deren Decke sich weit über ihren Köpfen in der Dunkelheit verlor. Hunderte Fabelwesen und mythische Gestalten hatten sich hier versammelt. Auf einem gemauerten Podest stand ein Kerl in abgerissenen Gewändern, den Kopf unter den Arm geklemmt, und versuchte mit tief tönender Stimme gegen das allgemeine Gemurmel anzureden.
    »Das ist Störtebeker«, raunte Oswald in Tills Ohr. »Der Knabe ist mit allen Wassern gewaschen. Ganz nach meinem Geschmack!«
    Der Pirat hielt plötzlich in seiner Rede inne und hob mit der Rechten seinen Kopf hoch über den blutigen Halsstumpf. »He, Oswald, alter Jungfernschänder! Schön dich zu sehen. Ich hatte mich schon gefragt, wo du bleibst. Wen hast du denn da mitgebracht?« All die anderen Geschöpfe drehten sich um, um zu sehen, wen der Pirat meinte.
    Till versuchte überheblich zu lächeln, während ihm das Herz in die Hose rutschte. Dicht

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