Nebenan: Roman
allen so leicht, zu reden! Er selbst wurde meistens nervös, wenn man von ihm erwartete, dass er etwas sagte. Er sprach recht langsam und meistens ließ man ihn nicht ausreden. Man stahl ihm seine Worte, bevor sie ihm über die Lippen kamen, beendete seine Sätze, für die er den Grundstein gelegt hatte.
Er hatte Cagliostros Papiere gebracht und damit war es gut. Jetzt brauchten sie ihn hier nicht mehr und er brauchte sie auch nicht, diese Quatschköpfe! Noch schlimmer als diese endlosen Reden waren die Gerüche! So viele Düfte lagen in der Luft. Der Geruch von fast verloschenem Feuer, den der Drache absonderte, dazu der kalte Rauch der Kohlenpfannen, das saure Bier, der gewürzte Wein, der klare Geruch einer Frostnacht, den die Schneekönigin verströmte, Schweiß, abgestandene Fürze … Dieses Durcheinander der Düfte machte ihn schwindelig. Gegen das Reden konnte er seine Ohren verschließen, aber die Gerüche belagerten ihn, drängten in seine Nase und tiefer in ihn hinein, ohne dass er sich gegen sie wehren konnte.
Und dann diese Neuen, die gestern gekommen waren. Diese Iren. Sie rochen falsch. Etwas stimmte nicht mit ihnen und es war nicht nur der Bart des Anführers. Aber er würde sich nicht einmischen! Das hieße Argumentieren … Nein, Reden war nicht seine Sache. Sollten sich die anderen darum kümmern!
Niemand drehte sich nach ihm um, als Baldur die große Höhle verließ. Schon im Tunnel, der nach draußen führte, begann er sich besser zu fühlen. Er kauerte sich nieder und binnen weniger Augenblicke hatte er seine Wolfsgestalt angenommen. Jetzt fluteten die Gerüche, denen er gerade entkommen war, doch noch einmal auf ihn ein. Baldur schnaubte und eilte auf allen vieren dem Tunnelende entgegen, das sich als ein unscharfes Lichtoval aus der Finsternis schälte.
Endlich der Höhle entkommen atmete er in langen Zügen den Winter. Der würzige Duft von Feuerholz lag in der klaren, kalten Luft. Auch roch es nach Pferden und Stroh und nach dem verrottenden Fleisch von Erik und seinen Kameraden, die wohl verborgen Wache hielten.
Mit weiten Sprüngen eilte Baldur durch das offene Tor und verschwand im Wald. Vielleicht würde er ein Kaninchen erwischen oder ein unvorsichtiges Eichhörnchen. Beim Gedanken an warmes Blut lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Endlich wieder frei!
Schnuppernd tollte er durch den Schnee. Die meisten Kleintiere schienen den Berg verlassen zu haben. Bei so viel üblen Gerüchen, wie sie in der Drachenhöhle versammelt waren, konnte er es ihnen nicht verdenken.
Immer weiter führte den Werwolf seine Pirsch den Berg hinab. Bald stieg der schwere Geruch kalten Wassers in seine Nüstern. Der Rhein konnte nicht mehr weit sein. Vielleicht vermochte er ja hier Beute aufzulauern. Im Wald war er nicht auf eine einzige frische Fährte gestoßen.
Auf einer verschneiten Wiese nahm er die Witterung eines Dachses auf. Baldur stieß ein enttäuschtes Knurren aus. Ausgerechnet ein Dachs! Das Fleisch von diesen gestreiften Mistviechern war nicht gerade schmackhaft und außerdem verteidigten sie es mit Klauen und Zähnen. Der Werwolf ließ sich auf den Hinterbeinen nieder und machte seinem Unmut Luft, indem er die ziehenden Wolken anheulte.
Irgendwo weit aus dem Norden erklang Antwort. Noch andere Wölfe waren auf der Jagd! Vielleicht sollte er sie suchen? Sie wüssten gewiss, wo Beute zu finden war. In einem Rudel Jagd auf einen Hirsch zu machen, das wäre etwas … Durch den hohen Schnee laufen, bis das Herz laut wie eine Trommel schlug und einem das Blut in den Ohren rauschte. Blut … Er stutzte. Der Westwind trug eine seltsam vertraute Witterung heran. Einen Geruch, den es hier nicht geben sollte!
Baldur kauerte sich flach in den Schnee. Es roch nach Heinzelmann! Waren sie ihm etwa von diesem verdammten Platz, wo er sich in die Kette verbissen hatte, bis hierher gefolgt? Wollten sie Jagd auf ihn machen? Dieser verdammte Erlkönig hatte behauptet, dass diese kleinen Schwächlinge äußerst nachtragend waren.
Vorsichtig sah sich Baldur um. Als Wolf sah er die entfernten Dinge nur unscharf. Doch sein Geruchssinn machte das mehr als wett. Er spähte zu einer Reihe von Weiden, die nahe dem Ufer standen. Der Wind wehte die Witterung von dort herüber. Ob die Heinzelmänner wohl Armbrüste mitgebracht hatten? Das mussten sie wohl! Wie sonst wollten diese arroganten Schwächlinge mit ihm fertig werden? Aber dass sie ihn gefunden hatten!
Unter einer der Weiden kauerte etwas. Ja, es waren
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