Nebenan: Roman
kramen.
»Ich glaube auch nicht, dass ich unwissend sterben möchte«, entgegnete Knuper säuerlich.
Der Fremde kniff die Augen zusammen und schnitt eine Grimasse. Endlich fand er sein Schnupftuch und blies sich sogleich mit einem lautstarken Schnäuzer die Nase frei. Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln. Er streckte der Hexe die kleine Silberdose entgegen. »Wollen Sie auch mal, meine Dame? Das bläst das Hirn frei. Sie werden sich danach besser fühlen!«
»Ich will endlich wissen, was hier los ist!«
»Jetzt ist es genug, Cagli«, mischte sich die Rothaarige ein. »Sehen Sie den Strich dort auf dem Höhlenboden? Mit ihm hat es folgende Bewandtnis …«
21
Kies knirschte unter den Hufen ihrer Pferde. Sie hatten das Ufer des Rheins erreicht. Dichter Nebel lag über dem Strom.
Gabriela blickte zurück zum Drachenfels. Sie hielt die Silbermünze in ihrer Linken, die der Fährmann abgelehnt hatte. Dies war ihr Tag! Sie spürte es. Kalt wie Eis lag die Münze in ihrer Hand. Sie hatte immer davon geträumt, eine der großen Rollen in einem Musical zu tanzen … Es hatte nicht sollen sein. Aber ohne ein großes Solo gehabt zu haben würde sie nicht abtreten.
»Fährmann!« Till war aus dem Sattel gesprungen, stand am Ufer und rief in den Nebel hinein.
Gabriela hatte keinen Zweifel, dass der schweigsame Schiffer sein Wort halten würde. In jeder Hinsicht! Sie sollte besser nicht mehr hier sein, wenn er kam. Die anderen würden es nicht akzeptieren, wenn er sie nicht an Bord ließe, und es blieb keine Zeit mehr, um zu streiten. Es war schon ein Wunder, dass sie so weit gekommen waren.
»Ich werde jetzt gehen.« Die Tänzerin sprach leise und so beiläufig, als säßen sie alle in der Küche der Villa Alesia und würden sich über irgendwelche Banalitäten unterhalten.
Rolf blickte auf. Er schien als Einziger gehört zu haben, was sie gesagt hatte. »Was?«
»Ich werde nicht mehr in unsere Welt zurückkehren«, sagte sie bestimmt. »Mein Platz ist hier.«
»Als Drachenfutter oder was? Das ist jetzt wirklich nicht der Ort, um sich zu streiten. Wir fahren mit dem verdammten Kahn über den Fluss und dann sehen wir weiter.« Inzwischen waren auch die anderen auf sie aufmerksam geworden.
»Was gibt’s?«, fragte Till ohne seinen Blick vom nebelverhangenen Fluss abzuwenden.
»Was wohl?«, schimpfte Rolf. »Unsere Primaballerina hat sich wieder einmal den passendsten Augenblick ausgesucht, um eine ihrer Extratouren zu reiten. Stell dir vor, sie will nicht mit über den Fluss.«
»Sie wird den Fluss nicht überqueren!«, verbesserte Gabriela Rolf und dachte, dass sie es möglicherweise vermissen würde, sich mit ihm zu streiten.
»Der Fährmann!« Oswald deutete auf einen Schatten, der durch den Nebel glitt.
Die Tänzerin zog den Zügel ihres Rappen herum. »Dies hier ist meine Welt, mehr als es die Welt, die uns auf der anderen Seite des Tores erwartet, je gewesen ist. Versucht nicht mich aufzuhalten.« Sie drehte den gae bolga zwischen den Fingern, sodass seine Klingen zischend eine Acht in die kalte Luft schnitten. »Ich gehöre hierher.«
»Ist sie verrückt geworden?«, fragte Wallerich in einem Tonfall, der eher interessiert als erschüttert klang. Der Heinzelmann saß in Decken gehüllt in einem Körbchen, das vor Tills Sattel hing, und betrachtete sie mit einem Gesichtsausdruck, als habe er gerade ein unbekanntes Insekt entdeckt, von dem er noch nicht wusste, ob es stechen würde oder andere unerfreuliche Eigenschaften aufwies.
»Vielleicht schaffe ich es, die Dunklen ein wenig abzulenken! Ich wünsche euch Glück! Vielleicht sehen wir uns …« Sie gab ihrem Rappen die Sporen und preschte in Richtung des Drachenfelsens.
Ohne zu zögern riss Rolf Martin die Zügel seiner Stute aus der Hand, sprang in den Sattel und folgte der Tänzerin.
Gabriela beugte sich tief über den Hals ihres Hengstes und trieb ihn erbarmungslos vorwärts. Doch der blonde Ui Talchiu holte schnell auf. Zurückblickend sah sie, wie der Fährmann das Ufer erreichte und ihre Kameraden wild gestikulierend auf den großen Mann mit dem Schlapphut einredeten.
Plötzlich stieß ihr Hengst ein schrilles Wiehern aus, strauchelte und stürzte dann in den Schnee. Sie wurde aus dem Sattel geschleudert, rollte sich zur Seite und kam leicht benommen wieder auf die Beine. Grelle Lichtpunkte tanzten ihr vor den Augen. Undeutlich sah sie ein Kaninchenloch im aufgewühlten Schnee.
Rolf parierte neben ihr die Stute und streckte ihr die Hand
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