Nebenan: Roman
entgegen. »Komm. Hast du vergessen? Einer für alle und alle für einen! Wenn wir schon Umwege machen, um ein paar Heinzelmänner abzuholen, dann werden wir erst recht nicht ohne dich gehen.«
»Es geht nicht. Ich …« Ihr saß ein Kloß im Hals. Ausgerechnet Rolf. Von ihm hätte sie am wenigsten erwartet, dass er ihr folgte. Sie zog die Silbermünze aus dem Lederbeutel an ihrem Gürtel und zeigte sie ihm. »Für mich gibt es kein Zurück mehr. Der Fährmann wird mich nicht ans andere Ufer bringen. Er wollte meine Münze nicht.«
»Ein Irrtum!«
»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Es war mir von vornherein bestimmt, nicht zurückzukehren.« Sie reckte ihr Kinn vor und bemühte sich endlich diesen verdammten Kloß im Hals loszuwerden. »Kehr zu den anderen zurück. Die Zeit drängt!«
»Heißt das, du wirst …«
»Ich werde einfach nicht mit euch zurückkehren! Geht das nicht in deinen Dickschädel? Bitte lass uns nicht im Streit auseinander gehen und mach meinen Abgang nicht zu einer billigen Seifenoper. Wenn ich dir etwas bedeute, dann wirst du jetzt zurückreiten und verhindern, dass mir einer der anderen folgt.« Sie drückte ihm die Hand. Plötzlich fielen ihr noch tausend Dinge ein, die sie ihm hätte sagen können. Stattdessen stieg sie in den Sattel. Ihr Rappe hatte den Sturz offenbar unbeschadet überstanden.
Langsam ritt sie an und hielt wieder auf den Drachenfels zu. Auf einem flachen Hügel drehte sie sich ein letztes Mal um und sah zurück. Rolf hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Noch immer blickte er ihr nach.
»Lebe wohl«, flüsterte sie in den Wind, der die Rabenfedern auf ihrem Umhang rascheln ließ. »Lebe wohl!«
Sie würde nicht mehr zurückblicken! Über den Berg vor ihr zogen zerrissene, graue Wolken, gleich riesigen Standarten, die einem unsichtbaren Heer voran in die Schlacht getragen wurden. Erste, vereinzelte Schneeflocken trieben wie Späher den dunklen Wolken voraus. Und dann sah Gabriela ihn. Zunächst war es nur ein flüchtiger Schatten. Ein Stück manifestierter Dunkelheit, das sich schneller bewegte als die Wolken, hinter denen es sich verbarg. Der Drache! Mit weit ausgebreiteten Flügeln im Sturmwind am Himmel segelnd wirkte er noch größer und Ehrfurcht gebietender als in der Höhle.
»Heho, du hässlicher Riesenlurch!« Die Tänzerin schwenkte ihren Speer über dem Kopf und schrie dabei aus Leibeskräften, um den Drachen auf sich aufmerksam zu machen. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wie ein besoffener Albatros fliegst? Beim Kampf bist du wahrscheinlich so geschickt wie eine einbeinige Ameise!«
Der Drache schwenkte ab, flog einen weiten Bogen und setzte dann zum Sturzflug an. Seine Flugmanöver waren so schwerfällig, dass Gabriela reichlich Zeit hatte, in aller Ruhe abzusteigen und ihrem Rappen über die Nüstern zu tätscheln. »Lauf weg, mein Schöner. Das hier ist kein Platz für dich.«
Der Hengst schnaubte, so als wolle er ihr antworten, und machte keine Anstalten davonzulaufen.
Mit weit ausgebreiteten Flügeln landete der Drache keine zehn Schritt von Gabriela entfernt. »Du wirst langsam sterben«, drohte er mit leiser Stimme. »Damit du reichlich Zeit hast, es zu bedauern, dich mit mir angelegt zu haben.« Sein Schwanz peitschte unruhig und zerwühlte den Schnee. Plötzlich schoss eine Stichflamme aus seinem Maul.
Gabrielas Rappe wieherte und preschte in wilder Panik davon. Die Tänzerin schaffte es gerade noch, sich mit einer Rolle in Sicherheit zu bringen. Kaum war sie wieder auf den Beinen, peitschte der mächtige Drachenschwanz in ihre Richtung. Sie machte einen Satz und entging dem Angriff.
Das Ungeheuer lachte. »Tanz für mich, du eingebildete Närrin!« Er fächerte seine mächtigen Flügel auf und wirbelte den feinen pudrigen Schnee in die Luft, der wie Nadelspitzen in Gabrielas Gesicht stach. Sie riss die Arme hoch, um ihre Augen zu schützen. Blinzelnd erkannte sie gerade noch, wie der meterlange Schwanz wieder vorschnellte. Fluchend warf sie sich zur Seite und rollte sich über ihre linke Schulter ab. Sie musste angreifen! Wenn sie den Drachen weiter seine Spielchen mit ihr treiben ließ, dann war sie so gut wie tot. Es musste doch möglich sein, dieses Ungeheuer aus dem Konzept zu bringen. Sie schnellte vor, machte einen Salto und versuchte dem Drachen den gae bolga in den Unterleib zu rammen.
Mit einer eleganten Drehung brachte die Echse sich in Sicherheit und verpasste ihr gleichzeitig mit der Flügelspitze einen Schlag
Weitere Kostenlose Bücher