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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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auf den Rücken.
    »Olé!«, rief der Drache amüsiert, während Gabriela mit dem Gesicht voran in den Schnee stürzte.
    Die Tänzerin drehte sich um, riss ihren Speer hoch und verhinderte so im letzten Augenblick, dass ihr der Drache seinen krallenbewehrten Vorderfuß auf den Rücken setzte. Diesmal zuckte das Reptil zurück. Trotz aller Großsprecherei schien der Drache Angst vor dem gae bolga zu haben. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und stürmte entschlossen vor.
    Der Drache stieß einen erschrockenen Schnauber aus und Ruß schoss aus seinen Nasenlöchern. Wie ein aufgeschrecktes Huhn flatterte er mit den Flügeln und machte einen grotesken Hüpfer, um der Speerspitze zu entgehen. Gabriela setzte noch einmal nach, doch dann beendete ein lodernder Flammenstrahl ihren Angriff. Zischend verwandelte sich der Schnee vor ihr in kochenden Wasserdampf. Ein peitschender Schwanzhieb traf ihren Arm und glühender Schmerz schoss ihr bis in die Schulter hinauf. Ein zweiter Schwanzhieb entriss ihr den gae bolga . Der Speer segelte etliche Meter durch die Luft und fiel in eine Schneewehe am Ufer eines kleinen Baches, der nur ein Stück entfernt in den Rhein mündete.
    »Ende der Vorstellung«, grollte der Drache mit leiser Stimme. Er schlug mit den Flügeln und entfesselte einen kleinen Schneesturm, der Gabriela weiter von ihm forttaumeln ließ, bis sie in das eisige Wasser des Bachs stürzte.
    »Was glaubst du, wie bist du bekömmlicher? Gekocht oder gebraten?« Das Reptil entblößte grinsend seine dolchlangen Zähne. Dann stieß er einen weiteren Flammenstrahl aus, der das Wasser vor Gabriela in siedenden Dunst verwandelte.
    Strauchelnd rettete sich die Tänzerin ein Stück das Bachbett hinauf. Der Speer war noch immer außerhalb ihrer Reichweite. Wieder blähten sich die Nüstern des Untiers, so als wolle es erneut einen Flammenstrahl ausschnauben und die Sache endgültig zum Ende bringen.
    Gabriela warf sich längs in das kniehohe Wasser. Die Eiseskälte raubte ihr fast die Besinnung. Einen Moment lang glaubte sie zu fühlen, wie ihr Herzschlag aussetzte. Wenn sie nur an den Speer herankäme! Damit, dass sie hier sterben würde, hatte sie sich schon an jenem grauen Nachmittag abgefunden, als der unheimliche Fährmann ihre Münze abgelehnt hatte. Doch dass es ein völlig sinnloser Tod sein würde, das mochte sie nicht hinnehmen. Wenn sie jetzt starb, dann hätte sie den Drachen nicht einmal fünf Minuten lang aufgehalten. Das war zu wenig. Er würde ihre Kameraden mitten auf dem Fluss erwischen, wo es keine Möglichkeiten zur Flucht gab. Sie musste noch durchhalten, koste es, was es wolle!
    Ein Flammenstrahl schoss über das Wasser hinweg und ersetzte die Todeskälte für einen Augenblick durch wahre Höllenglut. Schreiend stieß Gabriela den Kopf durch das Wasser. Sie würde sich nicht kochen lassen! Mochte dieser überdimensionierte Lurch doch an ihr ersticken!
    »Na, geht dir die Puste aus?«, spöttelte der Drache. »Suchst du vielleicht das hier?« Er hob den gae bolga hoch. »Das scheint heute nicht dein Tag zu sein.« Das Ungeheuer schleuderte die Waffe davon, die steil in den Himmel flog und dann im Nebel über dem großen Fluss verschwand. »Das war es dann wohl.« Geifer tropfte ihm vom Maul.
    Gabriela versuchte sich aufzurichten. Ihr Widerstandswille war gebrochen. Das Einzige, was sie noch wollte, war im Stehen zu sterben, doch selbst das schien ihr verwehrt zu bleiben. Der Rucksack auf ihren Schultern hatte sich voll Wasser gesogen und war bleischwer geworden.
    »Ich denke, jetzt ist der Augenblick für ergreifende letzte Worte! Fällt dir etwas Geistreiches ein?«
    Die Tänzerin ließ den Rucksack von den Schultern gleiten. Sie erinnerte sich dunkel an ein Experiment in einer Physikstunde. Woran man so dachte, wenn man den Tod vor Augen hatte … Mit Fingern steif vor Kälte nestelte sie an den Verschlussriemen des Rucksacks herum.
    »Nun?«, gurrte der Drache mit fast schon freundlicher Stimme.
    Endlich öffnete sich der Rucksack. »Verdammt, mein Schminkspiegel ist in tausend Stücke!« Die Tänzerin drehte den Rucksack herum und ließ seinen Inhalt ins eisige Wasser purzeln. »Das bedeutet sieben Jahre Unglück!«
    Der Drache lachte. »Weibchen, ich verspreche dir, deine Leiden abzukürzen, du wirst nicht einmal mehr sieben Minuten Unglück haben.«
    Er riss sein Maul weit auf, um sie mit einem letzten, vernichtenden Flammenstrahl zu töten. Gabriela tauchte ihren Rucksack in den Fluss. Tief im Rachen

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