Nebenan: Roman
Mantel aus sibirischem Zobel gehüllt, trug eine Kosakenmütze und braune Reitstiefel. Cagliostro lächelte zufrieden. »Du siehst fast aus wie die Gräfin Poniatowski. Einfach hinreißend!«
Mariana sah verwirrt an sich herab und strich vorsichtig über den weichen Pelz. »Ist der echt?«
»So echt wie ich!«
Die Druidin runzelte die Stirn. »Und der verschwindet auch nicht einfach?«
»Bestimmt nicht. Betrachte ihn als ein kleines Versöhnungsgeschenk für den Ärger der letzten Nacht. Und das ist erst der Anfang!« Er klopfte mit dem Knöchel auf den merkwürdigen Aktenkoffer, den er unter den Arm geklemmt hatte. »Hier drin ist alles, was man braucht, um die Welt aus den Angeln zu heben.«
»Du willst die Welt aus den Angeln heben?« Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Dazu gehört, die Welt auch zu kennen! Ein zukünftiger Weltenlenker sollte wissen, dass Neuengland längst ein unabhängiges Land ist, das man die Vereinigten Staaten von Amerika nennt. Deine Sorge wegen der Inquisition ist über zweihundert Jahre nach der letzten Hexenverbrennung völlig unangebracht. Und FC Fortuna ist auch keine Geheimloge, deren Mitglieder sich an rotweißen Schals erkennen, sondern lediglich ein Fußballclub.«
Cagliostro setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. »Um über solche Kleinigkeiten belehrt zu werden, habe ich doch dich, meine sinnliche, kluge Druidin. Und was die Welt angeht, ich habe nicht vor, sie zu beherrschen. Den Tyrannen zu spielen wäre mir viel zu anstrengend. Ich will lediglich das Antlitz der Erde grundlegend verändern. Ich habe eine Vision!«
Es regnete in Strömen, als Till den alten Friedhof erreichte. Er trug keinen trockenen Faden mehr am Leib und sein Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht. Auf den letzten Metern verlangsamte er die Schritte. Sein Enthusiasmus verebbte. Was sollte er ihr sagen? Dass es ihm Leid tat? Er kannte nicht einmal ihren Namen.
In weiten Kreisen schlich er um den Baum. Till hatte gehofft, das kleine Eichhörnchen zu sehen. Er musste über sich selbst schmunzeln. Er hatte daran gedacht, es als Liebesboten zu benutzen. Ein Eichhörnchen! Aber warum auch nicht? Es gab Wunder in dieser Welt!
Verlegen blickte er zur Esche. Kahl ragte ihr grünschwarzes Geäst zum bleifarbenen Himmel empor. Ob die Dryade in der Baumkrone saß und ihn beobachtete?
»Es tut mir Leid …« Seine Stimme ging im Rauschen des Regens unter. Till hockte sich auf einen der Grabsteine ohne den Blick von dem alten Baum abzuwenden. »Ich weiß, ich habe deine Liebe mit Füßen getreten, und … ich erwarte nicht, dass du auch nur ein Wort mit mir sprechen wirst. Aber ich wollte dir sagen, dass ich dir dankbar bin. Du hattest Recht. Deine Worte haben mir die Augen geöffnet. Ich weiß nicht, wann es begonnen hat … wann ich zum ersten Mal meine Träume verraten habe. Wann ich nicht mehr auf Wunder hoffen wollte und begann mich mit der Normalität zu arrangieren. Mit einer Welt, in der fast alles vorhersehbar ist, in der starre Regeln regieren. Auch wenn ich nicht erwarten kann, dir jemals wieder zu begegnen, hast du meine Welt für immer reicher gemacht …« Till wusste nicht, was er noch sagen sollte. Ein dicker Kloß saß in seinem Hals. Hätte er sich doch gestern nur nicht aufgeführt wie ein Idiot! Er stand auf. »Danke, meine lebendig gewordene Märchenfee.«
»Dryade!«, erklang eine leise Stimme dicht neben seinem Ohr. »Dryaden und Feen haben so gut wie nichts miteinander gemeinsam.«
»Du bist zurück?«
Ein gehauchtes Lachen erklang. »Ich war nie fort. Es gehört zu den Eigenarten von Dryaden, dass sie nie sehr weit von ihrem Baum entfernt sind …« Ihre Stimme wirkte plötzlich verlegen. »Bevorzugst du … ähm … eine bestimmte Haarfarbe bei Frauen?«
Till starrte verwundert in den Regen und versuchte sich vorzustellen, wo sein unsichtbares Gegenüber wohl stehen mochte. Dann sah er etwas. Der Regen! Wie ein silberner Schleier umspielte er eine Gestalt. Natürlich konnte er sie nicht genau erkennen. Er sah nur, wie Wasser an etwas abperlte. Die Gestalt vor ihm war ein wenig kleiner als er und sie schien sehr schlank zu sein. Was hatte sie gefragt? Ob er eine bestimmte Haarfarbe bevorzugte? Seltsam! »Ich … nein …« Warum nur begann er immer zu stammeln wie ein Idiot, wenn er sich mit Frauen unterhalten wollte, die ihn interessierten!
»Wir sollten nicht im Regen stehen … Ich … Wäre es sehr verwegen, dich zu mir einzuladen? Es ist vielleicht ein bisschen
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