Nebenan: Roman
Ästchen auch?«
»Willst du mich verarschen? Warum sollte ich dieses welke Gemüse wohl nicht sehen?«
Tills Herz schlug schneller. Er nahm die Colaflasche und hielt sie Gabriela direkt unter die Nase. Die hübsche Tänzerin trug ein hautenges schwarzes Trikot, Ballettschuhe und zerschlissene Wollstrümpfe. Aus dem Nebenzimmer tönte laute Popmusik, mit der Gabriela ihr allmorgendliches Warm-up aufpeppte.
»Du kannst diesen Eschenast sehen!«, wiederholte Till begeistert. »Kannst du ihn auch berühren? Bitte versuch es und sag mir, was du fühlst.«
Sie sah ihn an wie einen armen Irren, den man am besten in eine Gummizelle sperren sollte. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und strich über die Blätter. »Sie fühlen sich weich an.«
»Du kannst sie fühlen! Oh Gott, ich bin nicht verrückt. Es ist wirklich passiert.« Er sprang auf und küsste die schöne Tänzerin. »Es ist wunderbar! Sie war wirklich da!«
»Schön, dass ich dir helfen konnte«, sagte Gabriela verblüfft. »Äh … du bist sicher, dass es dir gut geht?«
»So gut wie schon lange nicht mehr. Ich muss sofort auf den Friedhof. Ich bin verliebt!«
»Auf den Friedhof? Verliebt?«
Till gab Gabriela einen zweiten Kuss und eilte davon. Auf der Treppe rief er noch zurück: »Das musst du nicht verstehen. Es ist unglaublich. Ich habe mich sozusagen in einen Baum verliebt!« Er lachte.
»In einen Baum verliebt«, murmelte Gabriela nachdenklich. Es stand schlimmer um Till, als sie erwartet hatte. Sie musste den anderen Bescheid sagen.
»Also hör mal, wir sind doch gut davongekommen. Ich weiß gar nicht, was du hast. Gelegentlich ein bisschen Ärger zu haben, das ist die Würze des Lebens.« Cagliostro grinste entschuldigend.
»Was ich habe, kann ich dir sagen, du herzloser Egomane. Ich hasse es, mich um sieben Uhr morgens an einem scheißverregneten Novembertag, nur mit einem Negligé bekleidet, zwischen Büschen im Volksgarten zu verstecken. Und für mich ist es nicht die Würze des Lebens, wenn mitten in der Nacht irgendwelche unsichtbaren Ungeheuer in meine Wohnung einbrechen, sämtliche Möbel demolieren und Löcher in die Wände schlagen.«
Mariana sah hinreißend aus, wenn sie sich aufregte, dachte Cagliostro und griff sanft nach dem ausgestreckten Zeigefinger, mit dem sie nur Zentimeter vor seiner Nase in der Luft herumstocherte. »Jetzt beruhige dich doch. Ich verspreche dir …«
»Ich will mich nicht beruhigen! Ich will etwas zum Anziehen und ein warmes Bad. Und ich will, dass nie mehr unsichtbare Monster in meiner Wohnung auftauchen, und …«
»Ich fürchte, das kann ich dir nicht versprechen. Ärger zu haben ist der Preis der Macht.«
»Unterbrich mich nicht dauernd, du schwanzgesteuerter Chauvinist. Du hast mir versprochen mir Zaubern beizubringen! Was ist damit? Du sagst doch dauernd, du bist der Großkoptha! Der begabteste Zauberer der Welt. Verschaff mir ein Kleid! Auf der Stelle, oder ich …«
Cagliostro presste ihr eine Hand auf den Mund und zog sie tiefer ins Gebüsch. Hundert Meter den Weg hinauf hatte er zwei Reiter gesehen, die genau in ihre Richtung kamen. Es waren Gendarmen. »Bei Fuß, Baldur!« Der Werwolf bleckte die Zähne. Einer der Reiter hatte in Richtung der Büsche gezeigt. »Der zeigt nicht auf dich. Der kann uns gar nicht sehen. Mach jetzt keinen Mist!«
Der Werwolf knurrte noch immer leise, zog sich aber tiefer in die Büsche zurück. Mariana biss dem Grafen in die Finger und wollte sich losreißen.
»Kannst du dir vorstellen, was die von einer jungen Frau halten, die sie fast nackt in den Büschen finden? Ich nehme die Hand ja weg, aber, in drei Teufels Namen, sei leise.«
Mariana rang nach Atem. »Sie werden mich für ein Opfer halten und Mitleid haben.«
»Oh, das ist es also, was du willst … Ein bemitleidetes Opfer sein«, höhnte Cagliostro. »Ich habe dich für mehr gehalten. Für eine Frau, die ihren Weg macht, die weiß, was sie will!«
Die beiden Reiter passierten das Gebüsch. Eines der Pferde schnaubte. Cagliostro packte Baldur beim Nackenfell. »Ich verspreche dir eine schön blutige Rinderhälfte, wenn du hier bleibst. Pferdefleisch, das ist doch nichts für einen Gourmet wie dich.«
Der Werwolf knurrte leise.
»Und was dich angeht …« Cagliostro dachte an die polnische Gräfin, die er bei seinem Aufenthalt in Berlin kennen gelernt hatte. »Für dich habe ich auch etwas, Mariana.« Er schnippte mit den Fingern. Das Negligé verschwand. Stattdessen war Mariana in einen langen
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