Nebenan: Roman
zu wischen. »Was ist mit dem alten Griesgram?«
»Der Rat will heute Abend über ihn zu Gericht sitzen. Laller, der dritte Vorsitzende, hat angekündigt, dass Nöhrgel nicht ungeschoren davonkommen soll. Es heißt sogar, sie wollen ihn verbannen.«
»Was? Aber warum? Was wirft man ihm vor?«
»Der Fehlschlag gestern Nacht. Die Sache mit dem Koffer … Laller lässt sogar verbreiten, Nöhrgel sei auf die Seite der Dunklen übergelaufen. Es sieht wirklich übel für ihn aus. Du kennst ja unseren Ältesten. Mit seiner Art hat er sich nicht viele Freunde gemacht. Allein im Rat fallen mir schon fünf Alte ein, die allen Grund hätten, ihm eins auszuwischen. Und was das Schlimmste ist: Laller will dich in den Zeugenstand rufen lassen, um gegen Nöhrgel auszusagen.«
Wallerich zuckte mit den Schultern. »Dann werde ich eben nicht zu finden sein. Ich bin zwar auch sauer auf Nöhrgel, aber um ihn über die Klinge springen zu lassen, müssen sie sich schon einen anderen suchen. Danke, dass du mich gewarnt hast.« Der Heinzelmann schob sich die Schiebermütze in den Nacken und sah zum grauen Himmel hinauf. »Ein Scheißwetter, um einen Spazierflug zu machen. Hoffentlich sitzen noch andere Möwen als Schnapper auf dem Unidach.«
Birgel räusperte sich.
»Ja?«
»Ich kann dich nicht gehen lassen.«
»Warum nicht?«
»Ich … ähm …« Birgel blickte zu Boden. »Der Rat hat mich geschickt, um dich zu suchen.«
»Dann sag ihnen eben, du hättest mich nicht gefunden.«
»Aber … dann müsste ich ja lügen. Du weißt, dass ich nicht gut im Lügen bin … Ich kann das nicht. Man merkt es sofort, wenn ich …«
Wallerich seufzte, dann klopfte er dem jungen Heinzelmann auf die Schulter. »Ich habe das Gefühl, du wirst es noch weit bringen, Birgel. Ich komme mit.«
Der Erlkönig lehnte sich auf dem alten Bürosessel zurück und blickte zufrieden auf den schmuddeligen Hinterhof jenseits des Fensters. Ein möbliertes Zimmer zu bekommen war leichter gewesen, als er erwartet hatte. Zunächst hatte der Vermieter zwar nach einem Personalausweis und einem Gehaltsnachweis gefragt, als der Albenkönig dann aber seinerseits vorschlug, die Kaution von tausend auf fünftausend Mark zu erhöhen, hatte sich sein neuer Vermieter umgehend damit zufrieden gegeben, dass die nötigen Papiere innerhalb der nächsten Wochen nachgereicht würden.
Der Elbenfürst ließ sanft den Sessel drehen und sah zu dem Stapel von Zeitungen, der sich auf dem Schreibtisch türmte. Das war der einzige Wermutstropfen, der diesen ansonsten recht erfolgreichen Tag trübte. Nirgends stand auch nur eine Zeile über das, was sich in der letzten Nacht in Bilbis ereignet hatte. Aber vielleicht war die Presse ja nicht so schnell, wie er gedacht hatte. Wenn in zwei Tagen immer noch nichts geschehen wäre, würde er ein oder zwei Fernsehsender mit anonymen Anrufen auf den Zwischenfall aufmerksam machen. Der Erlkönig lächelte. Die Möglichkeiten moderner Technik erlaubten es, Intrigen in einem Ausmaß zu spinnen, wie er es früher niemals zu hoffen gewagt hätte.
Der Elbenfürst packte die Geldbündel aus den Taschen seines neuen Sakkos und legte sie neben die Zeitungen auf den Schreibtisch. Er mochte diese schmuddeligen Papierfetzen nicht, obwohl sie natürlich praktisch waren, wenn es darum ging, größere Geldmengen zu transportieren. Nachdem er am Morgen aus Bilbis zurückgekehrt war, hatte er vor einer Bank in der Sülzburgstraße gehalten, seinen Ring vom Finger gestreift und war unsichtbar dem Leiter der Filiale geradewegs in den Tresorraum gefolgt. Wie lange sie wohl brauchen würden, um zu merken, dass ihnen hunderttausend Mark fehlten?
Einen Teil des Geldes hatte er in einen maßgeschneiderten Anzug und gute Schuhe investiert. Es war ein Genuss gewesen, sich in dem teuren Laden verwöhnen zu lassen. Niemand hatte dort auch nur ein Wort über seinen Aufzug verloren, obwohl Umhänge und Ledertuniken offenbar schon eine Weile außer Mode waren.
Der Elbenfürst stand auf und musterte sich selbstzufrieden in dem Spiegel, der neben dem großen Bett hing. Der graue Nadelstreifenanzug stand ihm gut! Die rotgoldene Brokatweste darunter mochte vielleicht ein wenig extravagant sein, so wie sein Rüschenhemd, bei dem die obersten drei Knöpfe nicht geschlossen waren. Aber wenn er Wert darauf legte, unauffällig zu sein, brauchte er schließlich nur den Ring vom Finger zu ziehen. Sein Haupthaar passte allerdings nicht ganz zu seinem neuen Äußeren. Die schwarzen
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