Nebenan: Roman
Haare wirkten matt und in den Spitzen war Spliss. Nicht weit von seinem neuen Zimmer war ihm an der Ecke der Palanterstraße ein Barbiergeschäft aufgefallen. Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg.
Die Straße war fast leer. Nur in einem Hausflur standen zwei alte Frauen, blickten ihm nach und tuschelten miteinander. Er schritt über eine große Pfütze hinweg, auf der schillerndes Benzin schwamm. Selbst jetzt, nach dem Regen, roch er noch den Dreck in der Luft. Dass die Menschen sich nicht daran störten! Waren sie denn schon so abgestumpft?
In einer Parkbucht vor dem Spielplatz, keine hundert Meter von seiner neuen Bleibe entfernt, stand Marianas alter Wagen. Es wäre besser, ihn bald loszuwerden. Der Erlkönig glaubte zwar nicht, dass Mariana ihn wegen des Diebstahls anzeigen würde, aber sicher war sicher. Er hatte große Pläne und er konnte es sich nicht leisten, in seinem Versteck aufgespürt zu werden! Bis Sonnenuntergang wollte er sich noch einen Computer und ein paar Benutzerhandbücher besorgen. Außerdem dachte er daran, einem Waffengeschäft in der Innenstadt einen Besuch abzustatten. Er hatte dort schon angerufen und zufrieden festgestellt, dass manche Waffen offensichtlich zeitlos waren. Was gut ist, bleibt! Und von dem Müll, den ihr angehäuft habt, werde ich euch schon noch befreien, dachte er bei sich, als er den Barbierladen erreichte. Über der Tür hing ein grelles Schild mit der Aufschrift
Gabi’s Friseursalon.
Wenn man hier auf die gleiche Art mit Haaren wie mit Rechtschreibregeln umging, dann wäre es besser, sich nach einem anderen Barbier umzusehen, dachte der Erlkönig und spähte durch die Glastür. Der Laden war modern und sauber. An den weißen Wänden hingen große Spiegel, davor stand eine ganze Reihe schwarzer Ledersessel. Der Fußboden war mit hellem Holz ausgelegt. Eine blonde Frau in einem zu engen rosa Kleid fegte Haare und pfiff dabei eine schiefe Melodie.
Der Erlkönig entschied sich, es trotz des Namensschildes hier zu versuchen, statt bei dem Regenwetter ziellos durch die Stadt zu laufen. Als er eintrat, gab die Tür ein süßlich harmonisches Gebimmel von sich. Die Blonde blickte von ihrer Arbeit auf und stützte sich in geübter Pose auf den Besen. »Was wolln Se? Waschen und legen? Nehmen Se Platz.«
Der Elbenfürst war verunsichert. »Wo ist der Barbier?«
»Barbier? In was für ’ner Welt lebst du denn? Ich schmeiß hier den Laden.« Sie musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle und lächelte zynisch. »Aber wennste lieber willst, dass ein Mann Hand anlegt, dann musste wohl woandershin.«
Er setzte sich demonstrativ, schlug die Beine übereinander und legte die Arme auf die Sessellehnen. »Ich habe etwas von meinem Glanz verloren. Meine Haare meine ich … Werden Sie das hinbekommen?«
»Von deinem Glanz verloren?« Ihre Hand griff in sein Haar. So, als prüfe sie einen kostbaren Stoff, ließ sie es durch die Finger gleiten. »Einmal aufpolieren soll ich dich? Keine Sache, das ist schließlich …«
Der Erlkönig sah im Spiegel, wie sie mitten in der Bewegung erstarrt war.
»Ist es doch so schlimm mit meinem Haar?«, versuchte er zu scherzen, obwohl er genau wusste, wohin sie blickte.
»Deine Ohren … Großer Gott, die sehen ja aus wie bei Mr Spock.«
»Ich kenne keinen Herrn Spock. Mit meinen Ohren … Diese Spitzen, das ist eine seltene Mutation, sozusagen eine Erbkrankheit in unserer Familie. Es tut mir Leid, wenn Sie sich erschreckt haben. Ich hätte es Ihnen vorher sagen müssen.« Der Erlkönig wollte aufstehen, doch sie drückte ihn wieder in den Friseursessel zurück.
»Ich hab immer gewusst, dass es euch wirklich gibt. Das war doch mehr als nur Fernsehen. Ich mein, wer sollte sich so was schon alles ausdenken!«
»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden, meine Dame, es tut mir Leid, dass …«
»Nein, versuch nicht, mich zu verarschen, Vulkanier. Ich mein, ich bin zwar bestimmt nicht so helle wie du, aber ich weiß, was ich sehe. Warum seid ihr aus der Zukunft gekommen? Is’ was mit den Walen nicht in Ordnung? Ist’s die Umweltverschmutzung? Da war doch erst letzte Woche was … ’ne ganze Herde ist an den Strand geschwommen. Keiner weiß warum. Deshalb seid ihr hier. Nicht wahr?« Sie blickte durch das Fenster zum Spielplatz auf der anderen Straßenseite. »Wo ist das Raumschiff? Ihr habt natürlich die Tarnschilde hochgefahren …«
Der Erlkönig überlegte fieberhaft, in was er hier hineingeraten war. Von Vulkaniern und
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