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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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Stelle hatte ich plötzlich das Gefühl, mir werde unwohl. Alles drehte sich um mich, mir wurde schwarz vor den Augen und ich stützte mich an einen Baum. Es könnte der hier gewesen sein«, meinte Tanabe, der schweigend gewartete hatte, bis ich meine Aufnahmen gemacht hatte, und deutete auf eine Eiche am Wegrand. »Nach ein paar Augenblicken war das Gefühl vorbei, und ich schob das Ganze auf einen plötzlichen Schwächeanfall, vielleicht weil ich zu schnell gegangen war oder zu wenig gefrühstückt hatte oder weiß der Himmel was sonst … und damit hat alles angefangen.«
    Tanabe sah mich an. Irgendwie wirkte der schmächtige Mann in seinem korrekten Anzug jetzt hilflos wie ein kleines Kind. »Drei Jahre ist das jetzt her, und seitdem war ich nie mehr hier, vielleicht weil ich versucht habe, das ganze Geschehen zu verdrängen. Manchmal rede ich mir sogar ein, dass ich in Wirklichkeit hierher gehöre, dass alles, was ich von meinem früheren Leben in jener anderen Welt weiß, in Wirklichkeit nur ein Traum ist und dass das hier die wahre Realität ist …« Er hielt inne, sah mich, wie ich fand, Hilfe suchend an.
    »Das kann ich Ihnen nachfühlen«, versuchte ich ihn zu trösten. »Ich habe auch immer wieder Momente, wo ich an mir zweifle. Aber was ich gehört und erlebt habe und nicht zuletzt auch, was Sie mir erzählt haben, beweist, dass es Wirklichkeit ist. Genauso wie der Umstand es tut, dass wir beide hier stehen und uns gegenseitig bestätigen können, dass es eine Welt gibt, in der unsere beiden Länder den Zweiten Weltkrieg verloren haben und dass auf Ihr Land zwei Atombomben abgeworfen wurden. Das alles kann doch kein Traum sein.«
    »Ja, ich weiß«, nickte Tanabe bedrückt. »Aber sagen Sie, was haben Sie sich von diesem Besuch hier eigentlich versprochen? Spüren Sie vielleicht etwas? Gibt es hier irgend etwas, was uns dem Rätsel und seiner Lösung näher bringt?« Seine dunklen Augen erinnerten mich in diesem Augenblick an die eines Hundes und dessen grenzenloses Vertrauen zu seinem Herrn.
    Ich schloss die Augen, horchte in mich hinein, konzentrierte mich auf das Rauschen der Blätter um mich herum und rief mir meine Träume ins Gedächtnis, in denen ich die ›Anderen‹ gesehen hatte.
    »Nein, ich spüre nichts, was ich nicht auch schon vorher gespürt habe, keine geheimnisvolle Strömung, kein Dimensionstor oder was auch immer man sich ausmalen könnte. Wahrscheinlich war es ziemlich töricht, auf diesen Ausflug hierher Hoffnung zu setzen, aber ich denke, Sie können mir mein Verhalten nachempfinden. Allein die Tatsache, dass wir beide uns gegenseitig unser Erleben bestätigen konnten, ist doch schon wertvoll, oder nicht?«
    Tanabe nickte, immer noch bedrückt. »Das schon, und wir sollten auch in Kontakt bleiben, schließlich sind wir aller Wahrscheinlichkeit nach die beiden einzigen Menschen in dieser Welt, die gemeinsame Erinnerungen haben. Das verbindet schließlich.« Er atmete tief durch, und ich hatte das Gefühl, dass er im Begriff war, sich wieder zu fangen. Dass man ihm die Niedergeschlagenheit hatte ansehen können, war für Japaner ungewöhnlich, sie haben in der Regel ihre Emotionen wesentlich besser unter Kontrolle als wir ›Westler‹, zumindest zeigen sie sie gewöhnlich nicht.
    »Stimmt nicht ganz«, korrigierte ich ihn. »Da wäre noch Mr. Mortimer, aber den haben ja Dupont und seine Leute kassiert. Aber in Verbindung bleiben sollten wir auf alle Fälle. Dank der modernen Technik ist das ja kein Akt. Was meinen Sie, sollen wir noch eine Weile hierbleiben und die Landschaft genießen, wenn wir schon keine neuen Erkenntnisse für unser Problem gewinnen?«
    »Ja, gerne«, stimmte er mir zu. »Zumal heute besonders gute Sicht auf den Fujisan ist, das kommt gar nicht so oft vor.« Japans Wahrzeichen ragte in seiner vollen Pracht vor wolkenlosem Himmel vor uns auf. »Wissen Sie übrigens, dass Fujisan keineswegs ›Herr Fuji‹ bedeutet, wie man im Western häufig annimmt, sondern ›Berg Fuji‹? Die Silbe ›san‹ bedeutet nämlich, je nachdem, wie man sie in unserer Schrift schreibt, sowohl Berg wie auch Mann.«
    Das war wieder einmal echt japanisch, dachte ich, Japaner neigen dazu, insbesondere Ausländern gegenüber, ihr Wissen etwas oberlehrerhaft zur Schau zu stellen. Aber ich ließ mir natürlich nichts anmerken. »Nein, das habe ich nicht gewusst«, räumte ich ein und gab mich beeindruckt. »Ich war vor vielleicht zehn Jahren während der Kirschblüte hier, aber bestiegen

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